Ursprünglich erschienen in: 30 Grad Magazin, Ausgabe 2020/2
Hohe Kunst mit langem Atem

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Benedikt von Poschinger trägt ein lockeres Jackett, Jeans und ein aufgeknöpftes Hemd, er schaut ausnehmend freundlich aus seinen blauen Augen. Damit unterscheidet er sich von seinen Vorfahren, die von Gemälden streng auf die Glasmacher in der Ofenhalle herabblicken. Benedikt Freiherr von Poschinger von Frauenau repräsentiert die 15. Generation der Glashütte von Poschinger.
Über den Bildern stehen in Regalen bis unter die Decke Kelche, Gläser und Vasen dicht an dicht, vom Rauch der Öfen stumpf und grau geworden. Alle hergestellt in Deutschlands ältester Glashütte, die auch noch weltweit am längsten in Familienhand ist. Dass sie überlebt hat, ist Benedikt von Poschinger und seiner Wandlungsfähigkeit zu verdanken.
In Frauenau, das sich selbst „das gläserne Herz des Bayerischen Waldes“ nennt, ist nämlich von der alten Glasmachertradition nicht mehr viel übrig. Aus der verfallenen Fabrik der Firma Spiegelau mitten im Ort wächst das Gras. Viele Glashütten haben die Konkurrenz aus Slowenien und Tschechien, die mit der Ostöffnung in den 1990er Jahren kam, nicht überlebt. In anderen wird nur noch zur Show gearbeitet. Touristen dürfen zuschauen, wie eine Vase entsteht und selbst eine Durstkugel blasen, die sie zu Hause in einen Blumenkübel stecken.
„Wir kommen wie alle Glasfirmen aus der manuellen Massenfertigung“, erzählt Benedikt von Poschinger. Sein Vater stellte Trinkglas-Serien für Firmen wie Rosenthal oder Villeroy & Boch her, brachte mehrmals im Jahr eine eigene Kollektion heraus, mit der er auf die Messen fuhr. 1990 erlebte Benedikt von Poschinger als junger Mann den Umbruch. Jahrzehntelang gewachsene Geschäftsmodelle funktionierten plötzlich nicht mehr. Dass er sie von Kindesbeinen an kannte, war ein Vorteil. Dass er nicht in den Strukturen feststeckte, auch. Er hat erkannt, dass das alte Handwerk nicht einfach fortgeführt werden kann, sondern modernisiert werden muss. Durch Objekte wie den Tisch Bell mit schwerem Glasfuß, mit dem Sebastian Herkner seine Karriere als international anerkannter Designer startete. Die Zusammenarbeit mit Herkner war für Poschinger ein wichtiger Schritt hin zur Spezialisierung auf Aufträge aus Architektur, Lichtdesign und Interieur.
RECHTS:

Durch Zusammenarbeit mit jungen Designern für die Zukunft aufgestellt
„Er hat erkannt, dass Handwerk nicht einfach fortgeführt werden kann, sondern modernisiert werden muss“

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Der Meister Christian Hagl legt den fertigen Fuß zum Abkühlen auf eine gabelförmige Vorrichtung. Dort steht David Arha bereit, um das Glas in einen weiteren Ofen zu legen. Der ist auf 500 Grad Celsius aufgeheizt und kühlt in dreieinhalb Stunden auf 40 Grad ab. Ließe man das Glas einfach an der Luft auskühlen, würde es zerspringen.
Nachdem das Glas auf einem Laufband am anderen Ende des Ofens angelangt ist, kommt es in die kalte Glasverarbeitung: Es wird geschnitten, geschliffen, kleine Kratzer werden poliert und nach winzigen Fehlern untersucht. Erst dann kann es verpackt werden.
Durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Designern und Künstlern und der Anfertigung von Einzelaufträgen konnte sich die Glasmanufaktur nicht nur ihren guten Namen erhalten, sondern das Überleben auf durchaus hohem Niveau sichern – mit aktuell 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gerade nach der sechswöchigen Zwangspause durch den Lockdown müssen sie viele Aufträge abarbeiten, wie zum Beispiel die Innenleuchten eines privaten Flugzeugs.
RECHTS:

Etwas anderes zu machen, kam nie in Frage
Text: Grit Thönnissen
Photos: Sima Dehgani