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Ursprünglich erschienen in: 30 Grad Magazin, Ausgabe 2020/2

Hohe Kunst mit langem Atem

In der Glasmanufaktur von Poschinger im Bayerischen Wald wird seit 1568 Glas geblasen. Die gefertigten Produkte sind dabei alles andere als altmodisch. Benedikt von Poschinger führt durch den Familienbetrieb.

LINKS:

An die geblasene Glaskugel, den sogenannten Kölbel, wird ein Rand aus flüssigem Glas gesetzt, der abgeschlagen wird, wenn das Glas abgekühlt ist.

Benedikt von Poschinger trägt ein lockeres Jackett, Jeans und ein aufgeknöpftes Hemd, er schaut ausnehmend freundlich aus seinen blauen Augen. Damit unterscheidet er sich von seinen Vorfahren, die von Gemälden streng auf die Glasmacher in der Ofenhalle herabblicken. Benedikt Freiherr von Poschinger von Frauenau repräsentiert die 15. Generation der Glashütte von Poschinger.


Über den Bildern stehen in Regalen bis unter die Decke Kelche, Gläser und Vasen dicht an dicht, vom Rauch der Öfen stumpf und grau geworden. Alle hergestellt in Deutschlands ältester Glashütte, die auch noch weltweit am längsten in Familienhand ist. Dass sie überlebt hat, ist Benedikt von Poschinger und seiner Wandlungsfähigkeit zu verdanken.


In Frauenau, das sich selbst „das gläserne Herz des Bayerischen Waldes“ nennt, ist nämlich von der alten Glasmachertradition nicht mehr viel übrig. Aus der verfallenen Fabrik der Firma Spiegelau mitten im Ort wächst das Gras. Viele Glashütten haben die Konkurrenz aus Slowenien und Tschechien, die mit der Ostöffnung in den 1990er Jahren kam, nicht überlebt. In anderen wird nur noch zur Show gearbeitet. Touristen dürfen zuschauen, wie eine Vase entsteht und selbst eine Durstkugel blasen, die sie zu Hause in einen Blumenkübel stecken.


„Wir kommen wie alle Glasfirmen aus der manuellen Massenfertigung“, erzählt Benedikt von Poschinger. Sein Vater stellte Trinkglas-Serien für Firmen wie Rosenthal oder Villeroy & Boch her, brachte mehrmals im Jahr eine eigene Kollektion heraus, mit der er auf die Messen fuhr. 1990 erlebte Benedikt von Poschinger als junger Mann den Umbruch. Jahrzehntelang gewachsene Geschäftsmodelle funktionierten plötzlich nicht mehr. Dass er sie von Kindesbeinen an kannte, war ein Vorteil. Dass er nicht in den Strukturen feststeckte, auch. Er hat erkannt, dass das alte Handwerk nicht einfach fortgeführt werden kann, sondern modernisiert werden muss. Durch Objekte wie den Tisch Bell mit schwerem Glasfuß, mit dem Sebastian Herkner seine Karriere als international anerkannter Designer startete. Die Zusammenarbeit mit Herkner war für Poschinger ein wichtiger Schritt hin zur Spezialisierung auf Aufträge aus Architektur, Lichtdesign und Interieur.

RECHTS:

Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau, so heißt der Besitzer der Glasmanufaktur mit vollem Namen.

Durch Zusammenarbeit mit jungen Designern für die Zukunft aufgestellt

Gegründet wurde die Manufaktur 1568 von Joachim Poschinger. Sie florierte, mit der Industrialisierung kam weiterer Aufschwung. 1875 ließ ein Urgroßonkel von Poschingers ein Schloss auf dem Hügel errichten, in dem der europäische Adel ein und aus ging. Das Schloss wurde allerdings 1959 wegen Baufälligkeit wieder abgerissen. Von Poschinger ist nicht allzu traurig darüber.
„Ich habe genug hiermit zu tun“, sagt er und zeigt auf den Ofen in der Mitte der Halle. Die Glasmacher bewegen sich wie in einer Choreographie um den Ofen herum holen mit langen Röhren, den sogenannten Pfeifen, geschmolzenes Glas aus einer der vier Luken.

„Er hat erkannt, dass Handwerk nicht einfach fortgeführt werden kann, sondern modernisiert werden muss“


Sie nehmen erst eine kleine Menge, die wie ein Tropfen am Ende der Pfeife hängt. Der Schwerkraft überlassen, würde er wie zähflüssiger Honig nach unten fließen. Damit das nicht passiert, drehen sie ohne Unterlass die Pfeife, die auf einer u-förmigen Halterung liegt, blasen hinein, so dass ein erster kleiner Hohlkörper entsteht.
Glasmacher können sich nicht an einen strikten Plan halten. Sie müssen genau beobachten, wie sich das Glas verhält. An der Farbe sehen sie, wie heiß es ist – erst glühend hellorange, bis schließlich die Farbe durchschimmert, die das Glas einmal haben wird. Die Männer – Frauen gibt es kaum, weil die Arbeit körperlich so schwer ist – wissen genau, wann sie den so entstandenen Kölbel wieder in die Glasmasse im Ofen halten müssen, um die nächste Schicht Glas zu holen, die die erste Schicht wieder so heiß werden lässt, dass der Glasmacher den Hohlkörper so lange vergrößern kann, bis er ihn in einer hohlen Holzform in die endgültige Gestalt bläst.
Am Morgen haben die Handwerker den gläsernen Fuß des von Herkner entworfenen Bell- Tischs hergestellt. Das ist Schwerstarbeit, er wiegt an der Pfeife mehr als 12 Kilo. Hier weiß jeder was der nächste Handgriff ist.

LINKS:

David Arha (links) und Miguel Schwenk müssen sich vor der glühenden Hitze des Ofens in Acht nehmen.

Der Meister Christian Hagl legt den fertigen Fuß zum Abkühlen auf eine gabelförmige Vorrichtung. Dort steht David Arha bereit, um das Glas in einen weiteren Ofen zu legen. Der ist auf 500 Grad Celsius aufgeheizt und kühlt in dreieinhalb Stunden auf 40 Grad ab. Ließe man das Glas einfach an der Luft auskühlen, würde es zerspringen.


Nachdem das Glas auf einem Laufband am anderen Ende des Ofens angelangt ist, kommt es in die kalte Glasverarbeitung: Es wird geschnitten, geschliffen, kleine Kratzer werden poliert und nach winzigen Fehlern untersucht. Erst dann kann es verpackt werden.


Durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Designern und Künstlern und der Anfertigung von Einzelaufträgen konnte sich die Glasmanufaktur nicht nur ihren guten Namen erhalten, sondern das Überleben auf durchaus hohem Niveau sichern – mit aktuell 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gerade nach der sechswöchigen Zwangspause durch den Lockdown müssen sie viele Aufträge abarbeiten, wie zum Beispiel die Innenleuchten eines privaten Flugzeugs.

RECHTS:

Die Ränder des Lampenschirms werden in der kalten Glasverarbeitung geschliffen und poliert. Hier wird jedes Produkt auf kleinste Fehler kontrolliert.

Etwas anderes zu machen, kam nie in Frage

Von Poschinger nimmt sich Zeit, um sein Unternehmen zu zeigen, dabei strahlt der 49-Jährige eine Ruhe aus, die auch mit der Sicherheit zu tun hat, seinen Platz von Geburt an zu kennen. Seine Familie habe ihn nicht in die Rolle des Nachfolgers gedrängt: „Für mich hat sich einfach nie die Frage gestellt, etwas anderes machen zu wollen.“
Gerade holen die Glasmacher kaputte Schamottringe aus den Öfen, um sie durch neue zu ersetzen. Die Ringe schwimmen in den vier Häfen, runde Bottiche, die in den Öfen stehen. In ihnen wird die Masse aus Soda, Kalk, Quarz und Pottasche zu flüssigem Glas geschmolzen. Der Ring sorgt dafür, dass keine Verunreinigungen in die Glasmasse gelangen.
Als die Öfen geöffnet werden, schlägt die gleißende Hitze den Männern ungeschützt entgegen und die Bühne verwandelt sich in einen bedrohlich wirkenden Schauplatz. Der junge Geselle Miguel Schwenk sieht in seinem silberfarbenen Schutzanzug aus wie ein altertümlicher Taucher, der Schweiß läuft ihm in Strömen übers Gesicht. „Ich trinke zehn Liter Wasser am Tag“, sagt er und grinst. Selbst dieser Fakt scheint ihm am Glasmachen zu gefallen. Auch dass er gelernt hat, Glas zu blasen, während er eine Zigarette im Mundwinkel hat.
Im Januar geht der 24-Jährige auf die Meisterschule und Benedikt von Poschinger hofft, dass er danach zu ihm zurückkommt. Damit es leichter wird, gute Mitarbeiter zu halten, haben die bedeutendsten Glashütten in Europa verabredet, sie untereinander auszutauschen. Vielleicht wird Miguel Schwenk also bald in Venedig auf der Insel Murano, einer Hochburg der Glasverarbeitung, Glas machen.
Sein Chef selbst hat nicht das Handwerk des Glasmachens gelernt, er ist diplomierter Forstwirt. Holz und Glas, das gehört für ihn zusammen. Im Bayerischen Wald gab es schon immer viel Holz für die Befeuerung der Öfen und den Quarz im Boden. „Wir machen als Betrieb Landwirtschaft, Forstwirtschaft und die Manufaktur. Mein Großvater war auch Forstmann und mein Vater hat Volkswirtschaft studiert.“ Benedikt von Poschinger lächelt: „Wo das Herz halt hinfällt.“

Text: Grit Thönnissen

Photos: Sima Dehgani