30Grad Magazin Ausgabe 2 2016

30 grad 2 2016 editorial page 3 Lieber Leser, Dear reader, an erster Stelle gehört in dieses Heft ein herzliches Danke- schön: An Sie, für die vielen positiven Rückmeldungen zu unserem neuen Magazin 30 Grad, dessen zweite Ausgabe Sie in den Händen halten. In unserem Unternehmen dreht sich viel um den Tast- sinn. Nicht nur, weil sich jeder Mann nach der Nassrasur über sein frisch geglättetes Kinn streicht, sondern vor allem, weil wir uns bei Mühle ständig mit der Frage beschäftigen, mit welchen Materialien wir unsere Produkte weiter ent- wickeln können. Wir freuen uns, Ihnen diesen Herbst unsere neue Produktserie Rocca präsentieren zu können. Nach mehrjähriger Entwicklung haben wir Rasierhobel aus Edel- stahl im Sortiment. Das Metall ist schwer zu verarbeiten, aber besonders haltbar und strapazierfähig und passt daher ideal zu Mühle (S. 4). Auch unsere Fotoproduktion steht im Zeichen der Materialien: Mit einem feinen Gespür für Ele- ganz und Humor interpretiert der Fotograf Tobias Faisst die Oberflächen und Strukturen unserer Produkte (S. 22). Für unsere Titelgeschichte waren wir zu Besuch am Comer See, bei dem begnadeten Bootsbauer Erio Matteri. Kaum jemand kennt sich mit den legendären Riva-Sportbooten aus den 60ern so gut aus wie er. Sogar aus Kanada schicken Kunden die Designklassiker zu ihm (S. 10). Viel Spaß beim Lesen! first of all this issue has to open with a big thank you: to you, for all the positive feedback concerning our new magazine 30 Grad. Now you are holding the second edition in your hands. In our company, we deal a lot with the sense of touch. Not only because every man strokes his freshly smoothed chin after wet shaving, but also especially because we at Mühle keep working on the question which materials could help to improve our products. That is why we proudly present our new product series named Rocca this autumn. After several years of development we have safety razors made of stain- less steel in our product range. The metal is difficult to process, but it is especially durable and hard- wearing. That is why it fits Mühle perfectly (p. 4). Also our photoproduction is all about materials: With a fine sense of elegance, photographer Tobias Faisst interprets the surfaces of our products (p. 22). For our cover story, we visited the boatbuilder Erio Matteri at Lake Como. Hardly anyone knows so much about the legendary Riva sports boats made in the 1960s. Even customers from Canada entrust him with their design classics (p. 10). Enjoy reading! andreas & christian müller

seite 6 mühle news 30 grad 2 2016 THE MAKERS: DIETMAR FUCHS Mister Fuchs, what exactly do you do here? I started in 1964 when I was 15 years old as an apprentice brush maker. Later, when I was a mas- ter craftsman, I was head of the brush production unit. Now that I am retired, I continue to work here – for 450 euros a month. So you can’t let go? The company has become some kind of home to me. Actually, I wanted to become a cook when I was a boy, but then the founder of the company asked: “Boy, why don’t you come and work for us?” My mother was also working here at that time and it was a good offer. That’s why I accepted it. What were the most formative experiences in all those years? It's been tough times after the German reunification. I was one of three remaining employees back then. It was very nice to experience the company’s comeback and it is very nice to see how well the company is doing today. die macher Dietmar Fuchs Herr Fuchs, was tun Sie hier? Ich habe 1964 mit 15 hier angefangen und eine Lehre zum Pinsel- und Bürstenmacher gemacht. Später, als ich Meister war, war ich Produktionsleiter der Pinselabteilung. Jetzt bin ich Rentner, arbeite aber immer noch hier – auf 450-Euro-Basis. Können Sie sich nicht trennen? Die Firma ist schon eine Art Zu- hause für mich. Als Kind wollte ich Koch werden, aber dann fragte mich der Firmengründer: „Junge, willst du nicht zu uns kommen?“ Meine Mutter hat auch hier gearbeitet, es war ein gutes Angebot – ich sagte ja. Was waren ihre prägendsten Erlebnisse in all den Jahren? Nach der Wende war alles sehr schwierig. Damals war ich einer von drei Mitarbeitern, die noch da waren. Dann zu erleben, wie es wieder aufwärts ging und wie gut die Firma heute dasteht, das ist sehr schön. Heilende Kra: Der Alaunsti HEALING POWER: THE ALUM PEN Bereits seit dem Altertum wird die heilende und pﬂegende Kraft der aluminiumhaltigen Salzkristalle geschätzt. Schnell angefeuch- tet und über die betroﬀene Stelle gestrichen, stoppt der Alaunstift kleine Blutungen schnell und schonend. Den Alaunstein hat Mühle bereits länger im Programm. Jetzt gibt es den praktischen Stift. Already in ancient times, the healing and nourishing power of aluminous salt crys- tals have been valued. Quickly dampened and applied to the affected area, the alum pen stops small bleedings quickly and gently. The alum stone has been a Mühle-accessoire for a while. Now, there is the handy pen.

30 grad 2 2016 column: pretty masculine page 9 Hilfe, der Dutt ist da! Help, what’s this man bun about! Als ich vor ein paar Wochen den Promi-Friseur Daniel Johnson in London traf, geriet er wegen zweier Angelegen- heiten in Aufregung. Zuerst wurde ihm ein Mandel-Latté serviert, den er widerlich fand, und dann kam das Gespräch auf den Männerdutt. Der Man Bun ist für Johnson ein Gruß aus der Vorhölle, eine Antithese zu den aufwändig gemusterten Frisuren, die er für die Fußballer Mario Balotelli oder Jamie Vardy kreierte. Der Friseur hielt eine imaginäre Schere in die Luft und – schnipp schnapp – machte er klar, wo der Zopf für ihn hingehörte: in den Abfall der Geschichte. Dabei geistert diese praktische Frisur bereits seit Jahr- hunderten durch die Kultur, wenn auch nicht durch die europäische. Die japanischen Samurai trugen den Männer- dutt als Erkennungszeichen. Und es ist vermutlich diese kriegerische Komponente, die bis heute manche Männer anspricht: Wie schön wäre es doch, etwas mehr Wagemut und Tugend zu besitzen. Der Männerdutt schreit uns förm- lich an: Schaut her, wie wild, unkonventionell und archaisch ich bin! Dabei vergessen wir nur eines: Nicht jeder Mann gehört zur Figurenaufstellung von Game of Thrones. Die populäre Fantasyserie setzte seit Beginn der ersten Staf- fel auf lange Männerhaare, in der aktuellen und sechsten trägt Protagonist Jon Snow fast nichts anderes als einen eleganten Männerdutt. Wer sich also einen zurechtformt, verknüpft diese diffuse Mittelalterwelt mit der Neuzeit – manchmal mit abrasiertem Nacken. Es ist ein gemischtes Signal in einer technologisierten Welt. „Ich wische meine Dates auf Tinder herbei, aber schneide meine Haare gar nicht oder selten mit der Küchenschere.“ Nur einer Gefahr sollten Männer dabei ins Auge sehen: Nicht jede Frau schätzt es, wenn sich der Partner genauso stylt wie sie selbst, denn auch der Frauendutt ist gerade ge- fragt. Archaisches Mannsbild hin oder her. Im Notfall wird sie es dann wie Daniel Johnson machen. Schnipp, schnapp. When I met celebrity hair stylist Daniel Johnson in London a few weeks ago, there were only two things that annoyed him. First, when he was served an almond-latte which he found disgusting, and secondly, when we started talking about the man bun. For Johnson, the man bun is a greeting from hell, the antithesis of the elaborate hairstyles which he created for footballers Mario Balotelli or Jamie Vardy. The coiffure held up imaginary scissors and, snip snap, expressed clearly were the bun belonged to in his opinion: into the dustbin of history. However, this practical hairstyle has been haunting culture for centuries, albeit not in Europe. The Japanese samurai wore the man bun as an em- blem. It might well be exactly this warlike aspect that appeals to some men nowadays: Wouldn’t it be nice to be a bit more daring, a bit more virtuous? The man bun yells at us: Behold, I am so wild, so uncon- ventional, and so archaic. But in this case we tend to forget one thing: Not every man belongs to the cast of Game of Thrones. The popular fantasy series relied on long haired men since the beginning of season one. In the current, sixth season, protagonist Jon Snow wears almost nothing else but an elegant man bun. So, he who man-buns links this diffuse medieval world with modern times – sometimes with a shaved nape of the neck or shaved sides. It is a mixed signal in our high-tech world. “I wipe up my dates on Tinder but I cut my hair with a hedge trimmer.” Men should face one threat. Not every woman appreciates a partner who styles his hair like she does, because the lady bun is in vogue, too. No matter if he is the impersonation of the archaic man or not. In case of emergency she will do as Daniel Johnson: snip, snap. Ulf Lippitz lebt in Berlin. Er schreibt für den Tagesspiegel und beschäftigt sich schon aus egoistischen Gründen mit der Frage, was einem Mann steht. Ulf Lippitz lives in Berlin. He writes for the Tages- spiegel and has his own selfish reasons for concern- ing himself with the question of what suits a man.

seite 12 titelgeschichte 30 grad 2 2016 Mysteriös liegt er da an diesem Morgen Anfang August: der Lago di Como. Dunkelblau und glatt wie poliertes Holz. Wenn Erio Matteri diese Stille mit dem Motor seiner Riva, Modell Tritone, durchbricht, freut er, sich wie ein kleiner Junge. „Das ist Musik!“, ruft er als der Innenbordmotor beim Beschleunigen kräftig aufheult. Erio Matteri, 65 Jahre alt, wettergegerbte Haut, mus- kulös, ist Bootsbauer und vor allem: Bootsrestaurateur. Er ist Inhaber des Cantiere Nautico Matteri in Lezzeno, einer 2.000-Seelengemeinde am südlichen Ende des Comer Sees. Die Firma ist ein Familienunternehmen, 150 Jahre alt, vier Generationen Holz- und Bootsbauexpertise. Die Werft am Seeufer ist vollgestellt mit Ersatzteilen, Motoren, besten Mahagoni-Planken und, natürlich, jeder Menge Boote. Erio hat sich auf das Renovieren von Riva-Holzbooten aus den 50er und 60er Jahren spezialisiert. Entworfen wurden sie von Carlo Riva nur einen See weiter, am Lago d’Iseo. Echte Prachtstücke aus feinstem Mahagoni, beste italienische Handwerkskunst. Ein Rivaboot war das Fortbewegungsmittel, in dem sich der Jetset in den Sommermonaten der 1960er am liebsten zeigte. Sophia Loren glitt auf dem Boot mit der Chromverkleidung und dem schlank auslaufenden Heck ebenso über die Wellen wie Sean Connery und Gunther Sachs, während dessen Freundin Brigitte Bardot sich auf den Mahagoniplanken räkelte. Etwa 4.000 der edlen Stücke wurden gebaut, bis Carlo Riva sein Unternehmen 1969 verkaufte und man später die Holzfertigung aufgab. Die heutigen Riva-Modelle werden von der Ferretti-Gruppe produziert und bestehen aus Kunststoff und Fieberglas. Was die alten – von denen es noch etwa 2.000 gibt – umso begehrter macht: Bis zu 600.000 Euro kosten die Designklassiker. Für Erio Matteri sind die Originale Rivas Kunstwerke. Er hat sich ihrer erbarmt, als Kunststoff in der Designwelt der 70er-Jahre seinen globalen Siegeszug antrat und immer Seite 10 Page 10 - Die Riva-Boote von Erio Matteri waren die geheimen Stars in Filmen wie Ocean’s Twelve und Casino Royale - Erio Matteri’s Riva-boats were the secret stars in films such as Ocean’s Twelve and Casino Royale Rechts Right - Inmitten der begehrten Klassiker: Der Boots- bauer Erio Matteri liebt die Boote und vor allem seine Rivas - Surrounded by the sought after classics: Boatbuilder Erio Matteri loves boats – especially his Rivas The wooden boats by Riva are the epitome of ele- gant marine locomotion – visiting their most gifted restorer Rolls-Royce of the Seas Lake Como rests mysteriously on this early August morning. Dark blue and smooth like polished wood. When Erio Matteri brakes this early silence with the engine of his Riva, model Tritone, he is happy like a little boy. “This is music!”, he shouts when the inboard motor roars powerfully while accelerating. 65-year-old Erio Matteri, weather-beaten skin and well muscled, is a boatbuilder – and above all: a boat-restorer. He is the owner of Cantiere Nautico Matteri in Lezzeno, a municipality with a population of 2,000, situated at the southern tip of Lake Como. The company is a 150-year-old family-business: four generations of wood- and boatbuilding-expertise. The lakefront shipyard is crammed with spare parts, motors, the best mahogany boards, and, of course, lots of boats. Erio has specialised in restoring wood- en Riva-boats of the 1950s and 1960s. They were designed by Carlo Riva only one lake to the east, at nearby Lago d’Iseo. They are real gems, real Italian craftsmanship. A Riva was the means of transport in which the jet-set liked to show up during the summer season. Sophia Loren glided over the waves in the chrome plated boat with the slim stern just like Sean Connery and Gunther Sachs. It is not too hard to imagine Sachs’s girlfriend Brigitte Bardot lounging on the deep-red mahogany planks. About 4,000 of the classy boats were built until Carlo Riva sold his company in 1969. Today’s Riva-models are produced by the Ferretti-group and they are mainly made of synthetic materials and fibreglass. That makes the old ones – there are still about 2,000 of them – all the more sought-after. One has to pay up to 600,000 euros for one of the design classics. The original Rivas are works of art to Erio Matteri. He took pity on them when more and more

seite 14 titelgeschichte 30 grad 2 2016 mehr von ihnen allmählich verrotteten, manche Besitzer sie sogar versenkten oder zu Brennholz verarbeiteten, weil es keine Ersatzteile mehr gab. 40 Stück konnte Matteri zu sagenhaft günstigen Preisen ergattern. Dass die Boote ein- mal wieder eine solche Wertschätzung erfahren würden, nein, das war damals unvorstellbar. Er liebt sie einfach. „Sie sind mein Alltag! Meine Leidenschaft! Mein Ein- kommen! Mein Leben!“ Holzplanke für Holzplanke nimmt er sie auseinander, bearbeitet jeden Quadratzentimeter und baut sie anschließend wieder zusammen. 15 Rivas hat er in seiner Werft zur Restauration stehen, Kunden schicken sie aus Neuseeland und Kanada, per Frachter oder Bahn. Nebenan in seinem Yachtclub lagern rund 40 weitere, die Besitzer bei ihm parken, wenn sie ihre Liebhaberstücke nicht benutzen, aber in den besten Händen wissen wollen. Selbst gehören Matteri sechs Rivas, er vermietet sie inklusive Skipper für 3.500 Euro am Tag. Man kann kaum glauben, was für Wertobjekte hier so herumstehen als seien es ganz normale Boote. Auch die vergilbten Fotos, die die Wand der Werkstatt schmücken, und Matteri mit illustren Kunden wie Bill Gates, Brad Pitt oder Antonio Banderas zeigen, wollen of the boats started to decay after the triumphant introduction of synthetic materials to the world of design in the 1970s. Some owners even sank their boats or turned them to firewood because there were no spare parts to find anymore. Matteri pur- chased 40 Rivas at incredibly low prices. He really did not expect the boats to become so highly appre- ciated again. He simply loves them. “They are my everyday routine! My income! My life!” Matteri disassembles them board by board, he finishes each and every square-centimetre, and he reassembles them afterwards. At the moment, there are 15 Rivas in his shipyard. Customers ship them by freighter or railway from New Zealand or Canada. About 40 other classics are stored in his adjoining yacht club. The owners entrust their gems to him when they are not using them because they want to be absolutely sure they are in the best hands. Matteri himself owns six Rivas which he rents for 3,500 euros a day including a skipper. It is hard to believe how many high value objects stand around

30 grad 2 2016 cover story page 15 nicht recht zu diesem Betrieb passen, der so unprätentiös daherkommt wie das kleine Firmenschild, das sich oben an der Straße in den Büschen versteckt. „Nur ein exzellenter Bootsbauer kann auch exzellent restaurieren“ Um sieben Uhr beginnt Matteris Tag, spätabends endet er. In den Sommermonaten arbeitet er sieben Tage die Woche, in den Wintermonaten macht er, wenn’s sein muss, am Wochenende auch mal frei. „Meine Mutter sagt, wäre sie ein Boot, hätte sie in ihrem Leben mehr von ihrem Mann ge- habt“, erzählt Tochter Francesca, die sich um die Finanzen im Hause Matteri kümmert. Mutter Paola spielt währenddes- sen mit den Enkeltöchtern – und träumt von einem Leben in Australien. „L’Australia è bella!“, sagt sie. Den wunderschö- nen Blick auf den Comer See, den sie aus ihrem Wohnzimmer hat und für den immer mehr Berühmtheiten immer mehr Millionen Euro zu zahlen bereit sind, hat sie mit dunklen Vorhängen verdeckt. „Italien? Ach … Australien! Das wär’s!“ Und dann muss sie doch ein wenig grinsen. So früh am Morgen ist niemand unterwegs, der See gehört Matteri allein, nur das Kreischen der Möwen gesellt sich zu dem Motorengeräusch. Bis zu 90 Stundenkilometer schnell fährt eine Riva und Matteri liebt es, Gas zu geben. Das da sei George Clooneys Anwesen, erklärt er, „er ist vor vier Tagen abgereist“, dort das von Angela Missoni, „eine gute Freundin von uns“, und das, das sei Richard Bransons, „kann jeder mieten – für 125.000 Euro die Woche.“ Sobald Matteri ein Boot erspäht, hat er ein Fernglas zur Hand. Schließlich muss er wissen, wer auf seinem See so verkehrt. „Die Rivas sind perfekt so, wie sie sind“, schwärmt er. Deshalb verändert er nie etwas an ihnen, auch nicht das kleinste Detail. Selbst wenn ihn einer seiner berühmten Nachbarn darum bitten würde: „Keine Ausnahmen!“ Das Handy klingelt. Hat jemand ein Problem mit dem Motor seines Boots, ruft er bei Erio an. Ist jemand auf der Suche nach einer eigenen Riva, ruft er auch Erio an. Und will jemand eine Einschätzung, ob eine Riva den Preis wert ist, den der Verkäufer dafür haben will, ruft er natürlich auch Erio an. „Boote machen immer Probleme!“, sagt der. here as if they were ordinary boats. Also the yel- lowed photographs, which decorate the wall of the workshop and show Matteri with illustrious custom- ers like Bill Gates, Brad Pitt, or Antonio Banderas, seem to belong to another world. The business is as unassuming as the signboard which is hidden between shrubs up the road. Matteri’s day begins at seven o’clock in the morning and it ends late in the evening. He works seven days a week. “My mum says, if she was a boat, she would have seen more of her husband in her life”, recounts daughter Francesca, who is responsible for the finances of the Matteri-business. Meanwhile, mother Paola plays with her granddaughters – and she dreams of a life in Australia. “L’ Australia è bella!”, she says. She has covered the magnificent view from her living room of Lake Como with dark curtains. “Italy? Oh well… Australia! That’d be it!” And after that she has to smile a little bit. That early, no one else is around. Only the squealing of the gulls blends into the sound of the engine. A Riva’s maximum speed is up to 90 kilo- metres per hour and Matteri loves to accelerate. That is George Clooney’s estate, he explains, “he left four days ago.” Then Matteri points out Angela Missoni’s property, “a good friend of ours”, he ex- plains, and the one of Richard Branson over there which basically “anyone can rent – for 125,000 euros a week.” As soon as Matteri spots a boat he grabs his binoculars. After all he has to know what is hap- pening on his lake. “The Rivas are perfect just as they are”, he says. Therefore he changes absolutely nothing when restoring them, not even the smallest detail. Even when one of his celebrity neighbours would ask him to: “No exceptions!” His mobile rings. If someone has a problem with his boat, he calls Erio. If someone is looking for his own Riva, he calls Erio. And if someone wants an assessment if a Riva is worth the price that the seller asks, of course he also calls Erio. “Boats Links - Zerlegt in ihre Einzelteile: Die Werft ist voller alter Riva-Schiffsschrauben, -Mo- torteilen, -Schrauben und -Mahagoniplanken Left - Disassembled boats everywhere: the shipyard is crammed with old propellers, parts of engines, screws, and mahogany boards

30 grad 2 2016 cover story page 19 Und was ist sein größtes Problem? „Dass ich nicht ‚Nein‘ sagen kann!“ So wird sein Telefon weiter ständig klingeln – auch weil er kann, was wenige können: Erio braucht nur das Holz abzuklopfen, um zu wissen, ob es von innen morsch ist und wie viel Zeit in eine Restauration investiert werden muss. Mal kalkuliert er 500 Arbeitsstunden, mal sind es 3000. Ob er schon mal eine Restauration abgelehnt habe, weil sie zu schwierig gewesen sei? Da schüttelt er den Kopf, nein. „Wir können hier alles“, sagt er, und klingt dabei nicht arrogant. Am Ende ist es nur eine Frage des Preises. „Nur wer ein exzellenter Bootsbauer ist“, weiß Matteri, „kann auch exzellent restaurieren.“ Zum Bootsbauen kommt er derzeit nur selten, die Rivas halten ihn beschäftigt. Tochter Francesca ist nicht traurig darum. Der Vater brauche das immer mal zur Ab- wechslung, dann baue er Sportboote wie seine Electro Zero Emission Boats oder eine Neu-Interpretation der „Lucia“ – eine Art venezianische Gondel mit Laubendach, in die sich einst auch Gianni Versace verliebte und die das Markenzei- chen der Matteris war, als die Firma noch von Erios Vaters geleitet wurde. Francesca sagt: „All diese Ideen, die er hat! Sein Perfektionismus! Das Akribische! Das ist nicht renta- bel!“ sagt sie. Da sei es gut, dass er sich bei den Riva Booten auf die ursprünglichen Vorgaben konzentrieren muss. Es gibt ein altes Sprichwort: Wer mit den Füßen auf dem See geboren wurde, der kann ihn nicht verlassen. Weg- ziehen kam für Erio Matteri nie in Frage. Schon als kleiner Junge kam er nach Schulschluss immer in die Werft. Wer irgendwann mal übernimmt? Vater und Tochter schauen einander an. Nein, darüber hätten sie sich noch keine Gedanken gemacht. „Wir denken nicht an morgen, sondern leben den Moment“, sagt Francesca. Natürlich würde wirtschaftlich mehr gehen, sie könnten noch mehr Boote bauen, noch mehr restaurieren, expandieren. Aber dann müssten sie sich anders aufstellen, momentan sind sie hier zu sechst, inklusive Francesca und Paola. So können sie, wie heute, nach einem langen Tag bei Cola und Kaﬀee kurz zu- sammenkommen, ein bisschen über den Tourismus plaudern, die Gegend, Italien, die Welt – und über die Boote. „Momentan läuft doch alles prächtig“, sagt Erio. „È fantastico!“ Links - Eine gebührende Kulisse für die seltenen Designklassiker: der Comer See in Norditalien Left - An apt backdrop for the rare design classics: Lake Como in the north of Italy always cause problems!”, he says. And what is his biggest problem? “That I can’t say no!” He is called often because of his unique skill: he only has to tap the wood to know if it is rotten from the inside and to know how much time has to be invested in the res- toration. Sometimes he calculates 500 man-hours, sometimes 3,000. “Only someone who is an excel- lent boatbuilder can also restore excellently”, he says without sounding arrogant. “We don't think about tomorrow, we live for the moment.” Indeed he gets seldom down to boatbuilding, the Rivas keep him busy. Daughter Francesca is not sad about it. She says her father needs it from time to time. That’s when he builds sportboats like his Electro Zero Emission Boats or a reinterpretation of the “Lucia” – a kind of Venetian gondola with a special roofing. Once, Gianni Versace fell in love with the “Lucia”, which was the trademark of the Matteris when the business was still run by Erio’s father. “All those ideas he has! His perfectionism! That is not profitable!” she exclaims and adds that it is a good thing that he has to stick to the original guidelines when it comes to the Rivas. There is an old saying: who was born with the feet on the lake can’t leave. Moving has always been out of the question for Erio Matteri. Even when he was a little boy he used to head straight for the ship- yard after school. Who takes over the business one day? Father and daughter look at each other. “We don’t think about tomorrow, we live for the moment”, says Francesca. Of course there’s room, they could build more boats, restore more, they could expand. But then they would have to reposition the compa- ny, hire more employees. They are six at present. In this way they can meet at the yacht club and chat a little, about tourism, the region, Italy, the world – and about the boats. “Everything is going really well at the moment”, says Erio. “È fantastico!”

seite 20 bartgeschichten 30 grad 2 2016 Die Bartwahl Der erste Bart im Oval Office – über die Bedeutung des Bartes in der Politik Im Oktober 1860, knapp einen Monat vor der Präsident- schaftswahl, bekommt der republikanische Kandidat Abraham Lincoln einen Brief von der 11-jährigen Grace Bedell aus Westﬁeld, New York: „Ich wünsche mir sehr, dass Sie Präsident der Vereinigten Staaten werden“, schreibt sie und verspricht, ihre älteren Brüder zu überzeugen, für ihn zu stimmen. Allerdings unter einer Bedingung: „Bitte lassen Sie sich einen Backenbart wachsen. Damit würden Sie deutlich besser aus- sehen, ihr Gesicht ist so dünn.“ Lincolns im Antwortbrief an Grace geäußerten Zweifel – würde man ihm einen neuen Bart nicht als alberne Eitelkeit auslegen?– überwand er oﬀenbar: Im Februar 1861, auf dem Weg ins Weiße Haus, ist sein Gesicht behaart. Als sein Zug in Westﬁeld Halt macht, steigt der frisch gewählte Präsident, der die USA von der Sklaverei text bettina homann Abraham Lincoln Als Präsident der USA sorgte er für große Umwälzungen: Er schaffte die Sklaverei ab und führte den Bart im Weißen Haus ein. As president of the USA, Abraham Lincoln initiated tremendous change: he abolished slavery and introduced the beard to the White House. befreien wird, aus. Er begrüßt Grace, die mit ihren Ge- schwistern in der Menge steht und dankt ihr für den guten Rat – eine Statue erinnert heute daran. Ob es wirklich der Brief war, der Lincoln bewog, sich als erster amerikanischer Präsident einen Bart stehen zu lassen, ist ungewiss. Dass Gesichtsbehaarung in der Politik mehr als eine Privatangelenheit ist, ist eine Tatsache. The Elected Beard The first beard in the Oval Office – on the significance of facial hair in politics In October 1860, about one month prior to the presi- dential elections, the republican candidate Abraham Lincoln received a letter. The sender was eleven- year-old Grace Bedell from Westfield, New York. “I really want you to become president of the United States”, wrote the girl and promised to convince her elder brothers to vote for him. But only on one condition: “Please let your whiskers grow. You would look so much better this way, your face is so thin.” Lincoln expressed doubts in his reply to Grace: Would one perhaps interpret his new beard as a foolish vanity? Obviously he dispelled all doubts. When he set out for the White House in February 1861, his face was hairy. When the train stopped in Westfield in February 1861, the president-elect got off the train and thanked young Grace for her good advice. It is not certain if it really was the girl’s letter that convinced Lincoln to become president wearing his signature beard. But it is a fact that facial hair in politics is way more than a private matter.

30 grad 2 2016 beauty interview page 29 „Ich rasiere mich richtig gerne“ “I really enjoy shaving” Peter Bohn liebt die schönen Seiten des Lebens. Der 48-Jährige ist in Rom geboren – er sagt, er sei mit Fras- cati aufgewachsen, daher auch seine Aﬃnität zu gutem Essen, gutem Wein und ja, auch guter Pﬂege. Der 48-Jäh- rige ist Teilhaber des renommierten, 1786 gegründeten Weinhandelshauses Valckenberg mit Sitz in Worms. Herr Bohn, es ist 10 Uhr morgens – was haben Sie heute schon für sich getan? Ich finde, man sollte alle Dinge, die man in seinem All- tag sowieso erledigen muss, für sich tun: kochen, essen, rasieren – auch Schuhe putzen! Wenn diese Sachen reine Pflichten sind und man sich dabei nicht auch ein wenig verwöhnt, ist man jeden Tag dazu gezwungen etwas zu tun, das einem keinen Spaß macht. Insofern: Ich rasiere mich richtig gerne – und das habe ich heute schon für mich getan! Was ist schön an der Rasur? Grundsätzlich finde ich eine Nassrasur wesentlich besser, gründlicher als eine Trockenrasur. Wenn man Dinge mit Achtsamkeit angeht, findet man mehr Ruhe und startet anders in den Tag. Was gestern war, kommt ab, heute ist alles frisch, neu – diesen Ritus mag ich. Sie sind nach dem Studium in die Weinbranche ein- gestiegen. Wir müssen die Frage stellen: Macht Wein schön? Auf jeden Fall! Wein macht alles schöner. Die Wein- laune ist philosophisch und beim Philosophieren wird man schön. Es gibt Weine, die sind so gut, da kommen einem fast die Tränen. Das ist kein Blödsinn! Tucholsky sagte: Schade, dass man Wein nicht streicheln kann. Können Sie sich an Ihre erste Rasur erinnern? Natürlich. Die war elektrisch, mit einem Braun-Rasierer, um 1986 herum. Der Rasierer war ein Geschenk meiner Eltern, ich meinte, ich bräuchte so was jetzt. Heute rasieren Sie lieber nass. Wie kommt’s? Schon in den 80ern habe ich aufgehört, mich elekt- risch zu rasieren. Wahrscheinlich wegen Bud Spencer und Terence Hill – die haben sich auch ausschließlich nass rasiert, das hat mich beeindruckt. Peter Bohn loves the bright sides of life. The 48-year-old was born in Rome. He says he grew up with Frascati, hence his great affinity for good food, good wine and, yes, also good grooming. Today, the 48-year-old is co-partner of Valckenberg, the renowned wine merchant business. It was founded in 1786 and is based in Worms. Mr Bohn, it is 10 o’clock in the morning – what have you done for yourself already? In my opinion, one should do all daily chores for oneself: cooking, eating, shaving – also cleaning your shoes! When these things turn into mere duties and one does not indulge in them, then one is forced to do things on a daily basis that are no fun. In this regard: I really like to shave – and that’s what I have done for myself today! What is pleasant about shaving? In general, I prefer wet shaving to dry shav- ing, because it is more thorough. When you do things mindfully you’ll find more peace and start your day differently. Everything that hap- pened yesterday gets shaved off and today everything is fresh, renewed – that’s what I like about this ritual. After your studies, you straight got into the wine business. Excuse us, but we have to ask this ques- tion: Does wine make beautiful? Oh yes of course! Wine makes everything more beautiful. The wine-mood is philoso- phical and you become very pretty when you philosophise. There are wines which are so good that you could cry. That’s no drivel! Kurt Tucholsky once said: It’s a pity that you can’t stroke wine. Can you remember your first shave? Of course. It was an electric one, with a shaver from Braun. Around 1986 I think. The shaver

seite 30 beauty interview 30 grad 2 2016 Welche Pﬂegerituale haben Sie neben der Rasur? 1985 bekam ich mein erstes Haargel von einer Freun- din geschenkt, das fand ich echt spektakulär. Seitdem muss ich mir das wenige Haar, das ich noch habe, eingelen. Und sonst? Was man eben so machen muss: Haare waschen, sich einseifen – mit Bioseifen. Ich hatte früher schlimme Neurodermitis, deshalb kommt mir keine Seife ins Bad, die künstlich parfümiert ist. „Ich habe schon in den 80ern aufgehört, mich elektrisch zu rasieren – wegen Bud Spencer und Terence Hill“ Mögen Sie Parfüms? Ich habe eins, Chanel Le Bleu, das finde ich gut. Ich mag Düfte ohne Schnickschnack. Unnatürliche Parfüms finde ich schrecklich. In der Weinszene ist es ohnehin ein No Go, sich stark einzuparfümieren. Auch Hand- cremes sind nicht erwünscht. Alles muss geruchs- frei bleiben, damit man die feinen Aromen der Weine riechen kann. Ohne welche Produkte gehen Sie nicht auf Reisen? Tatsächlich nicht ohne meinen Reiserasierer von Mühle, meine Frau hat mir den mal geschenkt. Ich habe ihn immer dabei, obwohl ich ihn meist auspacken muss, wenn ich ihn im Handgepäck habe, da er oft für eine Art von Waffe gehalten wird. Der ist ein Stück Heimat in der Fremde – wie ein Teddybär für Kinder. Das unterschätzteste Kleidungsstück für den Mann? Ich finde, Kleidung sollte man prinzipiell nicht überbe- werten. In Amerika sieht man oft Typen in abgenutzten Shorts und Shirts, die aber die wichtigsten Geschäfts- männer sind. Wenn jemand bereit ist, für einen Anzug richtig Geld zu lassen und dazu billige, ausgelatschte Schuhe trägt, finde ich das nicht authentisch. Das ist mir andersrum lieber. Oft sieht man das vor Wein- gütern: Da stehen richtig fette Autos, die Leute laden ein- fache Weine ein und in den verrosteten Golf 2 kommen die großen Gewächse. was a gift from my parents. I thought that I needed this. Nowadays you are a wet shaver. How come? Back in the 1980s I stopped using an electric shaver. I think this was because of Bud Spen- cer and Terence Hill – they were diehard wet shavers too. I was impressed. Which grooming rituals do you have apart from shaving? In 1985 I got my first hair gel from a friend who offered it to me. I found this really spectacular. Since then I have to put it on the few hair that’s left. What else? All that is necessary: hair washing, body soaping, always with organic soap. In the past, I had really bad neuroder- matitis. That’s why there won’t be any soap in my bathroom anymore which is synthetically perfumed. Do you like perfume? I have one. It's called Chanel Le Bleu and I like it. I prefer no-knickknack perfumes. Unnatural perfumes are horrible. Strong perfumes are a taboo in the wine-scene anyways. Also hand lotions are not welcome. Everything has to stay odourless so that one can scent the world’s fine aromas. Which products have to be your travel companions? In fact, I never travel without my travel shaver by Mühle. My wife gave it to me. I have to un- pack it often though when I carry it in my hand luggage because it is frequently considered to be some sort of weapon. This one is a piece of home in the outland – like a teddy bear for adults. The most underestimated garment for men? Shoes! In general, I think we shouldn’t over- estimate clothes. In America, you often see fellows wearing outworn shorts and shirts, even though they are the most important busi- nessmen. When someone is willing to spend a lot of money on a high-quality suit and then he wears cheap worn out shoes with it, I think this is not authentic. I prefer it the other way around. Often, you can see that in front of vineyards: Real big cars are standing there. People are loading the really simple wines in these cars and the rusty Golf 2 gets loaded with the classy ones.