30Grad Magazin Ausgabe 1 2020

inhalt / contents seite 3 page EDITORIAL seite 4 page MÜHLE NEWS seite 6 page Quell der Jugend In der Kolumne denkt Florian Siebeck darüber nach, was er von Koreanern über Schönheit lernen kann FOUNTAIN OF YOUTH In the column, Florian Siebeck reflects on what he can learn about beauty from Koreans seite 8 page „Wie eine große Familie“ Mitarbeiter erzählen aus der 75-jährigen Mühle-Geschichte “LIKE A BIG FAMILY” Employees talk about the 75-year history of Mühle seite 18 page Walking on Sunshine Fotograf Maximilian Virgili nimmt Mühle-Produkte mit auf die Reise WALKING ON SUNSHINE Photographer Maximilian Virgili takes Mühle products on the road seite 26 page Die Präzision der Mondphasen Ein Besuch in der Uhrenmanufaktur Lang & Heyne in Dresden THE PRECISION OF THE MOON PHASES A visit to the watch manufactory Lang & Heyne in Dresden seite 32 page „King Kong hat mich geprägt“ Beauty-Interview mit Modefotograf Joachim Baldauf “KING KONG HAS BEEN A HUGE INFLUENCE” Beauty interview with fashion photographer Joachim Baldauf seite 34 page MÜHLE ABC seite 35 page IMPRESSUM / IMPRINT c ov e r foto : m a x i m i l i a n v i r g i l i

30 grad 1 2020 editorial page 3 Liebe Leser, Dear readers, 2020 ist ein ganz besonderes Jahr für uns, wir feiern nämlich unser 75-jähriges Bestehen. Wir sind glücklich und dankbar, dass Mühle heute so erfolgreich ist. Es gab Zeiten in unserer bewegten Geschichte, in denen wir das kaum zu hoffen gewagt haben. Ganz zu Anfang, als das Firmengebäude abbrannte, oder in der Zeit nach der Deutschen Wiedervereinigung, als wir noch einmal ganz von vorne anfangen mussten. In den letzten Jahren sind wir kontinuierlich ge- wachsen, konnten unseren Maschinenpark und damit unsere Fertigungstiefe stetig ausbauen. Aus der kleinen Pinselmanufaktur, die in der Waschküche unserer Groß- eltern ihren Anfang nahm, ist ein Unternehmen erwach- sen, das, wie kaum ein anderes, ein Vollsortiment für die Nassrasur bietet. Den Erfolg verdanken wir natürlich in hohem Maße unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – einige von Ihnen kommen ab S. 8 zu Wort. Auch was unsere Manufaktur-Geschichte angeht, bleiben wir diesmal in der Region. Wir haben die Uhren- Manufaktur Lang & Heyne in Dresden besucht. Das Unternehmen ist jung, repräsentiert aber in besonderer Form die hohe Uhrmacherkunst, die in Sachsen seit August dem Starken blüht. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen! 2020 is a very special year for us, as we celebrate our 75th anniversary. We are very happy and grateful that Mühle is so successful today. There were times in our eventful history when we hardly dared to hope so. At the very beginning for example, when the company building burned down and we lost everything, or in the period af- ter German reunification, when we had to start all over again from scratch. In recent years, we have grown continuously and have been able to expand our machinery and thus our vertical range of manufacture. From the small brush manufacturer, which started in the utility room of our grandparents, a company has grown up that offers a full range of products for wet shaving like no other. Of course, we owe our success to a large extent to the people who work for us – some of whom have their say starting on p. 8. As far as our manufacturer’s story is concerned, we will also stay in the region this time. We visited the watch manufacturer Lang & Heyne in Dresden. The company is young, but represents in a distinctive way the fine art of watchmaking that has been flourishing in Saxony since August the Strong. We wish you an enjoy- able reading! christian & andreas müller

seite 4 Moderne Rasur, historische Kulisse Viele Jahre hat es auf seinen stilgerechten Einsatz ge- wartet: Das original Art déco Barber Shop-Interieur mit zwei Behandlungsplätzen und vielen schönen Details, das Andreas und Christian Müller bei der Auflösung eines Friseursalons gekauft haben. Ein Museumsstück – und doch viel zu schade, um nur im Museum zu stehen. Im Untergeschoss des Mühle Flagshipstores in London hat es nun eine neue Bestimmung gefunden: als Herzstück des neu eröffneten Treatment Stores. Für die erstklassi- ge Behandlung von Haaren und Bart sorgt Elliot Forbes, einer der besten Barber Londons, der von sich sagt, dass sich für ihn das Rasierwerkzeug von der ersten Berüh- rung an angefühlt hat wie eine Erweiterung seiner Hand. „Dies ist eine perfekte Partnerschaft. Mühle und ich ste- hen für den gleichen Anspruch: exzellenter Service und bestes Handwerkszeug“, sagt Forbes überzeugt. Selbst wenn man weder Haarschnitt oder Bartpflege wünscht, lohnt ein Besuch. Um die historische Ausstattung zu bewundern und einen Blick auf die Sammlerstücke in den Kirschholzvitrinen an den Wänden zu werfen. Zum Beispiel auf die antiken Rasierpinsel aus Sterling Silber von Asprey oder Tiffany. Auch Workshops und andere Veranstaltungen finden regelmäßig statt. MODERN SHAVE, HISTORICAL SCENERY For many years, it has been waiting to be used proper- ly: the original Art déco Barber Shop interior with two barber chairs and many beautiful details, which An- dreas and Christian Müller bought when a hairdressing salon was dissolved. It is a museum piece – and yet far too good to simply stand in a museum. In the base- ment of the Mühle brand store in London it has found a new purpose now: as the heart of the newly opened treatment space. Elliot Forbes, one of London's best barbers, is responsible for the first-class treatment of hair and beard. He says that the shaving tool felt like an extension of his hand from the first touch. “This is a perfect partnership. Mühle and I stand for the same standards: excellent service and first-rate tools,” says Forbes with conviction. Even if you don't want a hair- cut or beard grooming, it's worth a visit, to admire the historical furnishings and take a look at the collectors' items in the cherrywood display cases on the walls, the antique sterling silver shaving brushes from Tiffany or Asprey for example. Workshops and other events also take place regularly.

30 grad 1 2020 muehle news page 5 Rasieren auf Reisen Wer gerne stilvoll unterwegs ist, wirft seine Rasurutensilien nicht einfach in den Waschbeutel. Je nachdem, ob man nur das Nötigste einpacken oder gerne das ganze Sortiment dabei haben möchte, gibt es die passenden Reisetaschen. Die formschönen, cognacfarbenen Ledertaschen, die an historische Kamera- oder Fernrohrfutterale erinnern, werden ganz in der Nähe der Mühle-Manufaktur gefer- tigt – aus vegetabil gegerbtem naturbelassenen Rindsleder – und sind perfekte Begleiter für Reisen. SHAVING ON THE ROAD If you like to travel in style, don't just throw your shaving utensils into the toiletry bag. Depending on whether you want to pack only the most essential items or would like to have the whole assort- ment with you, there are the matching travel bags. The beautifully designed leather bags, which are reminiscent of historical cam- era or telescope cases, are made very close to the Mühle manu- factory – from vegetable-tanned bags made of natural cowhide – and are perfect companions for travelling. N P A GE M E H R D A V O N A U IS O H T F O E R 18 O F SEITE M Neue Pflege Seit Jahren wurde das Ende des Bart-Trends immer wieder angekündigt und fand dann doch nicht statt. Nun scheint es aber tatsächlich so weit zu sein: Immer mehr Männer trennen sich von ihren Bärten – und blicken staunend in Ge- sichter, die sie (so) schon lange nicht mehr ge- sehen haben. Wer nicht jedem Trend hinterher läuft und den Bart, ob Mode oder nicht, selbst- bewusst zum Teil seiner Persönlichkeit erklärt, muss aber nicht verzagen: Im Hause Mühle wird gerade eifrig an hochwertigen Bartpfle- geprodukten getüftelt. NEW GROOMING PRODUCTS For years, the end of the beard trend was announced over and over again, but it didn't happen after all. But now it really seems that the time has come: More and more men are parting from their beards – and are looking in amazement at faces they haven't seen (like this) for a long time. However, if you don't fol- low every trend and confidently declare the beard, whether fashionable or not, to be part of your personality, you need not despair: At Mühle, high-quality grooming products are being developed.

30 grad 1 2020 column: pretty masculine page 7 Quell der Jugend Fountain of youth In Seoul besuchte ich kürzlich einen Kosmetiktempel, ein abstrus großes Ladengeschäft, in dem sich Elixiere und Cremes bis unter die Decke stapeln. Ich war nicht allein. Links, rechts, vor, hinter mir – Männer. In keinem Land der Welt geben Männer so viel Geld für Hautpflege aus wie in Südkorea. Um „Mul-Gwang“ auszusehen, also wie frisch aus der Dusche. Und ich? Kam bislang ganz gut ohne Double Clean- se und Layering Hydration aus. Zum einen, weil mir die Beauty-Redakteurin eines einflussreichen Modemagazins hinter vorgehaltener Hand einmal erzählte, sie nehme ja überhaupt keines der zahlreichen Mittelchen; zum ande- ren, weil ich ohnehin oft Komplimente für meine „ach so reine“ Haut bekomme – soll ich das ruinieren? Aber gucken kostet ja nichts. Zumal in die Zukunft. Es heißt, Korea sei uns in Dingen der Schönheit um zehn Jahre voraus, und ich werde ja auch nicht jünger. Zwischen Schneckensekret, Eselsmilch und Bienengift entdecke ich eine „Extreme Power Camo Cream“, eine hautfreundliche Camouflage-Farbe, und eine „Power Military Mask“ mit Grüntee-Extrakt. Ein Freund erklärt mir, dass die Wiege für den Schönheitswahn koreanischer Männer ausgerech- net im Wehrdienst liegt. Sonne, Strapazen, Schützengra- ben – nicht gut für zarte Männerhaut. Schon gar nicht, wenn man beim Start ins Berufsleben möglichst jugend- lich aussehen soll: youth equals ability. Make-up und Skincare bei Männern gelten in Korea als Werkzeug für ein neues Selbstbewusstsein. „You are a brand“ lautet der treffende Claim eines koreanischen Unisex-Kosmetikherstellers. Das bleibt auch in Europa nicht unbemerkt: Chanel etwa brachte jüngst eine Ma- ke-up-Linie für Männer auf den Markt mit Foundation, Lippenbalsam und Augenbrauenstift. Zurück in Deutsch- land bekomme ich von einer Freundin ausgerechnet jenen Augenbrauenstift geschenkt. Sie habe ihn zufällig entdeckt und fand ihn äußerst kurios, erzählt sie: „Ich weiß nicht, wer das kaufen soll, aber ich dachte: Wenn jemand damit etwas anfangen kann, dann ja wohl du.“ In Seoul, I recently visited a cosmetics temple, an ab- strusly large shop where elixirs and creams are piled up to the ceiling. I was not alone. Left, right, behind and in front of me – men. In no other country in the world do men spend as much money on skin care products as in South Korea. In order to look Mul-Gwang, like you just got out of the shower. What about me? I've been getting along just fine without double cleanse and layering hydration. On the one hand because the beauty editor of an influential fashion magazine once told me behind closed doors that she wasn't using any of the numerous products; on the other hand because I often get compliments for my “oh so clean” skin anyway – should I ruin that? Looking around is free of charge. Especially into the future. They say Korea is ten years ahead of us when it comes to beauty, and I’m not getting any young- er. Between snail secretion, donkey milk and bee ven- om, I discover an “Extreme Power Camo Cream”, a skin-friendly camouflage colour, and a “Power Military Mask” with green tea extract. A friend of mine explains to me that the origin of the beauty madness of Korean men lies in military ser- vice of all things. Sun, strain, trench – not good for del- icate male skin. Especially not if you want to look as youthful as possible when you start your career: youth equals ability. In Korea, make-up and skin care are seen as tools of a new self-confidence. “You are a brand” is the fitting claim of a Korean unisex cosmetics producer. This does not go unnoticed in Europe: Chanel, for example, re- cently launched a make-up line for men including foun- dation, lip-balm and eyebrow pencil. Back in Germany, I was given the exact same eyebrow pencil by a friend of mine. She had just discovered it by chance and found it quite strange, she says: “I’m not sure who is supposed to buy this but I thought: If anyone can use it, then it must be you.” Florian Siebeck lebt in Frankfurt und München und schreibt als freier Journalist u.a. für F.A.Z., NZZ Folio und GQ. Zuletzt war er als Reiseredakteur von Architec- tural Digest in der Welt unterwegs und mit seinen Augen- brauen eigentlich sehr zufrieden. Florian Siebeck lives in Frankfurt and Munich and writes as a freelance journalist for F.A.Z., NZZ Folio and GQ amongst others. Most recently, he was travelling the world as travel editor for Architectural Digest and was actually very pleased with his eyebrows.

seite 10 75 jahre mhle 30 grad 1 2020 Von der Bürstenfertigung in der heimischen Waschküche zum Spezialisten für Nassrasur war es ein weiter Weg. Dabei war das Unternehmen für alle Beteiligten mehr als ein Arbeitsplatz – in den vergangenen 75 Jahren war Mühle stets auch ein berufliches Zuhause. Mitarbeiter erzählen text: bettina homann portraits: julia von der heide Bürsten- und Pinselmacher haben im Erzgebir- ge Tradition. Aus einer Bürstenmacherfamilie stammte auch Otto Johannes Müller. Gerade aus dem Krieg heimgekehrt, gründete er 1945 das Unternehmen Mühle. Es ging bescheiden los, aber schon Ende der 1940er-Jahre wurden über zehn Mitarbeiter beschäftigt. Und auch nach Feierabend kümmerte sich der Chef um sie. Zeitzeugen erin- nern sich. gottfried voigt „Meine Großeltern haben dafür gesorgt, dass ich 1948 bei Mühle anfangen konnte. Ich war nach dem Krieg Vollwaise, und sie haben sich bemüht, das Beste aus mir zu machen.“ dietmar fuchs „Meine Mutter hat auch schon bei Mühle gearbeitet. Ich habe damals noch überlegt, Koch zu werden, aber als der Seniorchef mich auf der Straße angesprochen und gefragt hat, ob ich hier anfangen möchte, dachte ich: Mir kann eigentlich nichts Besseres passieren.“ gottfried voigt „Der Chef hat mich nach der Arbeit oft im Auto mitge- nommen, als er Erledigungen zu machen hatte. Nebenbei hat er mir Anstandsformen beigebracht. Respekt vor alten Leuten zum Beispiel. Ich habe alles angenommen.“ dietmar fuchs „Das Besondere ist das soziale Umfeld, wir sind wie eine große Familie.“ hans-jrgen mller „Wenn Mitarbeiter und Außenstehende uns sagen, dass die HANS-JÜRGEN MÜLLER * 1942 … war noch im Maschinenbaustudium in Chem- nitz, als er – nach dem plötzlichen Tod seines Vaters 1966 – das Unternehmen übernehmen musste. Kurz nachdem er sich so richtig ein- gearbeitet hatte, wurde ihm das Familienunter- nehmen weg genommen – verstaatlicht. 1990 bekam er die Firma zurück und schaffte es un- ter großen Schwierigkeiten, sie wieder profita- bel zu machen. 2007 übergab er die Geschäfts- leitung an seine Söhne Christian und Andreas. … was still studying mechanical engineering in Chemnitz, when – after the sudden death of his father – he had to take over the com- pany. Shortly after he had really settled in, the family business was taken away from him that means expropriated. In 1990, he got the company back and under great difficulties managed to make it profitable again. In 2007, he handed over the management to his sons Christian and Andreas.

Schwerer Rück- schlag zu Beginn der Firmenge- schichte: 1949 brennt die Ma- nufaktur nieder, Material und Produkte werden vernichtet Severe setback at the very beginning of the company's history: in 1949 the factory burns down, material and products are destroyed Arbeitsatmosphäre bei Mühle besonders ist, ist dies das größte Kompliment, das man uns machen kann. Als Unter- nehmer trägt man Verantwortung, man muss einem Men- schen das Gefühl geben, dass er wichtig ist, auch wenn er mal Fehler macht. Ich freue mich sehr, dass meine Söhne das Unternehmen in diesem Geist weiterführen.“ ute mädler „Bei der Firma Müller war immer ein Zusammenhalt. Unter den Arbeitskollegen gab es keinen Neid.“ Trotz einiger Rückschläge wie dem Brand, der 1949 Firmengebäude, Ware und Material vernichtete, ging es stetig bergauf. Mühle spezialisierte sich auf Ra- sierpinsel und lieferte in den 1960er-Jahren in über 30 Länder in Europa und im Nahen Osten. Otto Johannes Müller erweist sich als begabter Unter- nehmer – eine Begabung, die im real existierenden Sozialismus nicht unbedingt geschätzt wurde. It was a long way from brush production in the home uti- lity room to a wet shaving specialist. But the company has always been more than a workplace for the entre- preneurs and the employees – over the past 75 years Mühle has always been a professional home as well. “We’re like a big family” Brush and paintbrush makers have a tradition the Ore Mountains. Otto Johannes Müller too came from a family of brush makers. Having just returned home from the war, he founded the company Mühle in 1945. Things got off to a modest start, but by the end of the 1940s the company already had over ten employees. And even after work, the boss took care of his employees. Eyewitnesses remember. gottfried voigt “My grandparents made sure that I was able to join Mühle in 1948. I was orphaned after the war, and they tried to make the best of me.”

seite 12 75 jahre mhle 30 grad 1 2020 hans-jrgen mller „Privatunternehmen haben in das ideologische Konzept der DDR nicht gepasst. Schon 1953 hat man daher bei uns die Schrauben sehr angezogen. Die Materialzuteilun- gen wurden eingeschränkt, mein Vater musste die Pro- duktion zurückfahren und Mitarbeiter entlassen.“ Obwohl Hans-Jürgen sich dem Unternehmen ver- bunden fühlt, kann er nicht sicher sein, seinem Vater eines Tages nachzufolgen. Schon gar nicht ist er darauf vorbereitet, das bereits mit 23 tun zu müssen, als der Vater plötzlich stirbt und er selbst noch im Studium ist. gottfried voigt „Der Tod des Chefs war ein Schock für uns. Wir haben uns Sorgen gemacht, wie es weitergehen soll. Aber dann hat der Übergang gut funktioniert.“ Lange kann Hans-Jürgen Müller sich an seinem ﬂorierenden Unternehmen nicht freuen. Der Staat macht ernst: Im April 1972 wird Mühle enteignet. Erst nach der Wende bekommt die Familie ihr Un- ternehmen zurück. hans-jrgen mller „Es war ein totaler Einschnitt. Dass an unserem Firmen- gebäude auf einmal VEB stand, war schlimm – Vaters Ehemaliger Betrieb haben wir gewitzelt, aber das war natürlich alles andere als lustig.“ ute mädler „Nach der Verstaatlichung wurden wir zu immer größe- ren Einheiten zusammengelegt und sind schließlich in die VEB Erzgebirgische Pinselfabrik Schönheide und später, einige Angestellte und ich, in die Verwaltung der VEB Bürstenwerke gekommen.“ dietmar fuchs „Zu dieser Zeit wurde die Mechanisierung sehr vorange- trieben, es kamen immer mehr Spezialmaschinen zum Einsatz. Die Inhaber sind immer mehr raus gedrängt worden.“ andreas mller „Als mein Bruder Christian und ich Kinder waren, hat es sich nicht wie unser Unternehmen angefühlt. Wir wur- den zwar zur Ferienarbeit eingeteilt und mein Vater hat uns ermahnt, dass wir da ordentlich Gas geben und schön grüßen sollten, aber eine große Verbindung haben wir nicht gespürt. Die ist erst nach der Wende gewachsen, dietmar fuchs “My mother had been working for Mühle as well. I was still thinking about becoming a chef at the time, but when the senior boss approached me on the street and asked if I wanted to start here, I thought: nothing better could happen to me. I had friends here, since most of the employees came from the village.” gottfried voigt “The boss used to take me out in his car after work when he had errands to run. He also taught me some man- ners. Respect for old people, for example. I accepted everything.” DIETMAR FUCHS * 1951 … wollte eigentlich Koch werden, war dann aber doch sehr glücklich, als er von Firmengründer Otto Johannes Müller gefragt wurde, ob er nicht bei Mühle in die Lehre kommen wollte. Von 1995 bis 2014 war er als Meister tätig. Nach seiner Pensio- nierung arbeitete er auf Teilzeit-Basis weiter. Als begabter Pinselmacher ist er immer dann gefragt, wenn komplizierte Sonderwünsche wie Gams- bärte für Jägerhüte zu fertigen sind. … initially wanted to become a chef, yet was hap- py when he was asked by Otto Johannes Müller whether he would like to be an apprentice at Mühle. From 1995 to 2014, he managed the pro- duction. After his retirement he continued working on a partime basis. As a talented brush maker, he is always in demand when special requests, such as tufts of chamois hair worn as decoration on hunters' hats, have to be produced.

page 13 dietmar fuchs “What's special is the social environment. We're like one big family.” hans-jürgen müller “When employees and outsiders tell us that the working atmosphere at the company is special, this is the great- est compliment we can receive. As an entrepreneur, you have responsibility for your employees, you have to make people feel that they matter. I am very pleased that my sons continue to run the company in this spirit.” ute mädler “There always had been such a team spirit! No one ever was jealous.” Despite some setbacks such as the fire that dest- royed company buildings, goods and materials in 1949, things went steadily uphill. Mühle speciali- sed in shaving brushes and in the 1960s deliver- ed to over 30 countries in Europe and the Middle East. Otto Johannes Müller proved to be a talen- UTE MÄDLER * 1941 … kennt Hans-Jürgen Müller schon aus der Grundschule. 1958 kam sie als Stenotypistin zu Mühle, wo sie auch als Standpersonal zur Leipziger Messe tätig war. Später leitete sie die Lohnbuchhaltung. 1991 wurde sie in Schönheide entlassen. Nach einer kaufmännischen Umschu- lung kehrte sie zu Mühle zurück. … has known Hans-Jürgen Müller since primary school. She joined Mühle in 1958 as a steno- typist, she was also working for Mühle at the Leipzig trade fair and later managed the payroll department. In 1991 she was dismissed from VEB Bürstenwerke. After a commercial retrai- ning, she returned to Mühle. In 1972 the founding family is expropriated, Mühle becomes state-owned, as the new lettering on the building documents 1972 wird die Gründerfamilie enteignet, Mühle wird staatlich, wie der neue Schriftzug auf dem Gebäude dokumentiert

seite 14 75 jahre mhle 30 grad 1 2020 nach der Reprivatisierung, als wir gesehen haben, wie viel Energie und Herzblut da geflossen sind.“ hans-jrgen mller „Ich war skeptisch. Mir war klar, dass der Start in die marktwirtschaftliche Ära nicht einfach wird, aber dass es so schlimm werden würde, hätte ich nicht gedacht. Wir haben drei Jahre lang ums Überleben gekämpft.“ dietmar fuchs ted entrepreneur – a talent that was not necessarily appreciated during the so-called real socialism. hans-jürgen müller “Private companies did not fit into the ideological con- cept of the GDR. Therefore, in our case, the ideological screws were tightened very strongly as early as 1953. Material allocations were limited, my father had to cut „Am Anfang waren wir gerade mal drei Mann.“ back production and lay off employees.” gottfried voigt: „Es gab keine Aufträge und kein Material.“ hans-jrgen mller „Das Schwierige war, dass wir unsere Hauptkunden in den sozialistischen Ländern gehabt hatten, vor allem in der So- wjetunion. Mit Einführung der D-Mark war das alles passé.“ ute mädler „Eins muss ich sagen: Egal wie schwierig die Situation war – wir haben immer unseren Lohn bekommen.“ hans-jrgen mller „Es wurde langsam besser, als ich in den alten Bundes- Although Hans-Jürgen feels an affinity with the company and is involved in its work, he cannot be sure that he will follow his father one day. He is cer- tainly not prepared to have to do so at the age of 23, when his father suddenly dies and he himself is still at university. Handarbeit ist bei Mühle immer noch wichtiger Teil der Fertigung, der Maschinenpark ist aber deutlich mo- derner geworden Craftsmanship is still an important part of Mühle's production, but the machinery has become much more modern

page 15 gottfried voigt “The boss's death came as a shock to us. We were worried about how to go on. But then the transition worked well.” Hans-Jürgen Müller cannot be happy about his flourishing company for long. The state takes things seriously: in April 1972, the company was expropriated. Only after reunification does the fa- mily get their company back. hans-jürgen müller “It was a total cut. The fact that our company building suddenly had VEB (a Publicly Owned Enterprise in the former GDR) on it was bad – we always said Vaters ehe- maliger Betrieb (papa’s old enterprise), but of course that was anything but funny.” ute mädler “After the nationalisation we were merged to bigger and bigger units and finally came to VEB Erzgebirge Pinselfabrik Schönheide, and later together with some other employees I was assigned to the administration of VEB Bürstenwerke.” dietmar fuchs “At that time, mechanisation was very much pushed for- ward, more and more special machines were used. The owners were pushed out more and more.” andreas müller “When my brother Christian and I were children, it didn't feel like our company. After all it was state-owned back then. Although we were assigned to holiday work and my father warned us that we should put our foot down and allways be polite and greet everybody, we didn't feel a great connection. It only grew after reunification, after reprivatisation, when we saw how much energy and passion went into it.” hans-jürgen müller “I was skeptical. I knew that the start of the market economy era would not be easy for us, but I never thought that it would be so bad. We fought for three years to survive.” dietmar fuchs “In the beginning, there were only three of us.” gottfried voigt “There were no orders and no material.” hans-jürgen müller GOTTFRIED VOIGT * 1933 … kam 1948 als einer der ersten Mitarbeiter zu Mühle. Er fing als Bürsten- und Pinselma- cher-Lehrling an und war froh, dass der Chef ihn nicht nur beruflich unter die Fittiche nahm. Bis auf eine kurze Unterbrechung blieb er dem Un- ternehmen sein ganzes Berufsleben treu. Selbst nach seiner Pensionierung war er stets zur Stelle wenn Not am Mann war. … came to Mühle in 1948 as one of the first em- ployees. He startet as an apprentice brush and paintbrush maker and later managed the produc- tion. Except for a short interruption, he remained loyal to the company. Even after his retirement, he was there to help out when needed. ländern Kontakte geknüpft und eine Handelsvertretung gefunden habe und wir schließlich mit einem großen, ehemaligen Kunden wieder ins Geschäft gekommen sind.“ Seit 1995 wird der Maschinenpark ständig ausge- baut, immer mehr Komponenten werden im Haus gefertigt. Mit der Entwicklung von Rasierhobeln, Ständern, Reisebedarf und eigener Biokosmetik ist das Unternehmen inzwischen weltweit eine der ersten Adressen für alles, was mit Nassrasur zu tun hat. Die Belegschaft ist auf 80 Mitarbeiter gewachsen. 2014 wurde der erste Markenstore in Berlin eröffnet, 2019 folgte der zweite in London. 2007 übergab Hans-Jürgen Müller die Leitung des Unternehmens an seine Söhne. hans-jrgen mller „Der Übergang hat aus meiner Sicht problemlos geklappt. Die Söhne machen es sehr gut. Was uns wirklich voran- “The difficult thing was that we had had our main cus- tomers in the socialist countries, especially in the So-

seite 16 75 jahre mhle 30 grad 1 2020 gebracht hat, sind unsere Produktinnovationen, da haben sie sich sehr reingekniet.“ benjamin zimmermann „Es ist ein Markenzeichen von uns, dass wir nichts von der Stange produzieren. An der Entwicklung von Produkten beteiligt zu sein, freut mich sehr. Ich weiß noch, wie ich mit Andreas an dem Entwurf für den Stylo-Rasierpinsel gear- beitet habe und auch an dem für den R89, den Rasierhobel mit geschlossenem Kamm. Wir sind zuerst zur Recherche ins Museum gegangen und haben uns historische Modelle ganz genau angeschaut.“ ANDREAS MÜLLER * 1976 … studierte zunächst Theologie in Leipzig und Heidelberg, während sein älterer Bruder Christian bereits als Jugendlicher ins väterli- che Unternehmen einstieg. Die Verbundenheit mit Mühle war aber doch so groß, dass er sich nach Abschluss des Studiums entschloss, bei Mühle mitzuarbeiten und schließlich die Ge- schäftsführung gemeinsam mit seinem Bruder zu übernehmen. … initially had other plans than his older brother Christian who joined his father's company when he was still young as an apprentice. Andreas in- stead followed his quest and studied theology in Leipzig and Heidelberg. However, the ties with Mühle were so strong that after completing his studies he decided to join the company and later take over the management together with his brother. viet Union. With the introduction of the Deutschmark, that was all over.” ute mädler “One thing I must say: Even when the situation was very difficult - we always got our pay.” hans-jürgen müller “Things slowly got better when I made contacts in the old federal states and found a commercial agency. When we finally got into business with a large, former customer things started to improve.” Since the turn of the millennium, the machinery has been continuously expanded, and more and more components are being made in-house. With the de- velopment of razors, stands, travel accessories and its own organic cosmetics series, the company is now one of the top addresses worldwide for ever- ything to do with wet shaving. In 2007, Hans-Jür- gen Müller handed over the management of the company to his sons. hans-jürgen müller “From my point of view, the transition went smoothly. The sons are doing very well. What really moved us forward were our product innovations, they really got into it.” benjamin zimmermann “It is a trademark of ours that we do not produce any- thing off the peg. I am very pleased to be involved in the development of products. I remember working with An- dreas on the design for the Stylo shaving brush and also on the design for the R89, our closed comb shaver.” Even when times were difficult – Mühle always celebrated. This year there is a particularly good reason for it. gottfried voigt “The celebrations, that was always the best! The Christ- mas parties and the excursions, that was really great!” ute mädler “On Women's Day the boss always invited us to a special outing celebrate.” gottfried voigt “When I came back here after a long time, I couldn't find words to describe how it all turned out. And everything is so clean and perfect! The fact that Hans-Jürgen got his sons off to such a good start and that they continue to run the company in this way: I take my hat off!”

30 grad 1 2020 Auch als die Zeiten schwierig waren – gefeiert wurde bei Mühle immer. In diesem Jahr gibt es besonders viel Anlass dazu. gottfried voigt „Die Feiern, das war immer das Schönste! Die Weih- nachtsfeiern und die Ausfahrten, das war wirklich toll!“ ute mädler „Am Frauentag hat der Chef immer zu einem Ausflug oder einer Feier geladen.“ gottfried voigt „Als ich nach längerer Zeit einmal wieder hier war, habe ich keine Worte gefunden dafür, wie sich das hier alles entwickelt hat. Die Produktion – alles maschinell! und so sauber und perfekt! Hut ab!“ Das Transpa- rent belegt die Zusammenlegung von immer mehr Unternehmen zu immer größeren Einheiten im Laufe der DDR-Ge- schichte The banner documents the merging of more and more companies into ever larger units in the course of GDR history BENJAMIN ZIMMERMANN * 1980 … begann 1997 bei Mühle seine Ausbildung zum Bürokaufmann und wuchs über die Jahre in un- terschiedliche Aufgabenbereiche hinein: EDV, Graphik, Kundenbetreuung. Gelegentlich macht er auch Ausflüge in die Produktentwicklung und betreibt – zusammen mit Chef Andreas Müller – Designstudien. … started his apprenticeship as an office clerk at Mühle in 1997 and over the years, he has grown into different areas of responsibility: IT, graphic design, customer service. Occasionally, he also makes excursions into product development and – together with boss Andreas Müller – con- ducts design studies.

page 19 Für echtes Sommer- ferienfeeling sorgen Wendelröschen und bunte Keramik, für die perfekte Rasur der Rasierhobel aus der Serie Traditional mit einem Griff aus Edel- harz in Bernsteinoptik. Spiral florets and colourful ceramics provide a real summer holiday feeling, and the razors from the Traditional series with a handle handle made of precious resin in amber look. Als Fotochef organisiert Maximilian Virgili regel - mäßig Still-Life-Strecken, als Fotograf ist er bekannt für seine Reisereportagen. Für diese Ausgabe hat er seine beiden Passionen kombiniert und Mühle-Produkte auf Reisen inszeniert. As head of photography, Maximilian Virgili regularly stages still-life galleries, and as a photographer he is known for his travel reports. For this issue, he has combined his two passions by shooting Mühle pro- ducts while travelling.

30 grad 1 2020 manufactury page 27 Mit einer Uhr aus der sächsischen Uhrenmanu faktur Lang & Heyne wird es zum Glück, der Zeit beim Vergehen zuzuschauen. Seit einem Jahr leitet Jens Schneider die Entwicklung With a watch from the Saxon manufacturer Lang & Heyne, it is a bliss to watch time go by. Jens Schneider has been in charge of development for a year now The precision of the moon phases Jens Schneider stands there with a piece of cloth in his hand and polishes a milling machine. The cleaning lady has left a water stain on it. The cast-iron apparatus is from the 19th century and could actually still be used, says Schneider and immediately begins to explain how it works. And if anybody knows that, he does. The 58-year-old is a kind of guru of mechanical watches on the international watch scene. Whoever enters the reception room of Lang & Heyne in Radeberg near Dresden might get the impres- sion that this company has been around for generations. But it was only in 2001 that Marco Lang founded it and in 2003 he launched his first self-developed watch on the market. Last year, Jens Schneider took over as head of the development department and has since been the boss of 21 employees. Very special watches are made here – small num- bers of small works of art that delight connoisseurs of watches and collectors all over the world. But, as Schneider's spontaneous lecture at the milling machine makes clear, first and foremost he is a watchmaker. You can see that he likes to stand at the workbench and build a watch himself. He smiles and, in all modesty, is the face of Lang & Heyne. Yet he makes little fuss about his person. He does not even seem to notice how much authority he exudes through his knowledge. Nor does he seem a bit impatient when he explains in a concentrated manner how his watches Jens Schneider steht da mit einem Lappen in der Hand und poliert eine Fräsmaschine. Die Putzfrau hat einen Wasserfleck darauf hinterlassen. Die gusseiserne Appa- ratur ist aus dem 19. Jahrhundert und könnte eigentlich noch benutzt werden, sagt Schneider und fängt sofort an, zu erklären, wie sie funktioniert. Und wenn einer das weiß, dann er. Der 58-Jährige ist in der internationalen Uhrenszene eine Art Guru der mechanischen Uhren. Wer den Empfangsraum von Lang & Heyne in Ra- deberg bei Dresden betritt, könnte den Eindruck bekom- men, dass es diese Firma schon seit Generationen gibt. Dabei hat Marco Lang sie erst 2001 gegründet und 2003 seine erste selbstentwickelte Uhr auf den Markt gebracht. Im vergangenen Jahr hat Jens Schneider die Leitung der Entwicklungsabteilung übernommen und ist seitdem der Chef von 21 Mitarbeitern. Aber, so macht Schneiders spontaner Vortrag an der Fräsmaschine deutlich, zuallererst ist er Uhrmacher. Man sieht ihm an, dass er gern selbst am Werktisch steht und an einer Uhr baut. Er lächelt und ist bei aller Be- scheidenheit doch das Gesicht von Lang & Heyne. Dabei macht er wenig Aufhebens um seine Person. Er scheint gar nicht zu bemerken, wie viel Autorität er durch sein Wissen ausstrahlt. Und er wirkt auch kein bisschen un- geduldig, wenn er Laien erklären soll, wie seine Uhren funktionieren, was eine Dreiviertel-Platine ist und wel-

30 grad 1 2020 work, what a three-quarter plate is and what function the 19 embedded rubies have. That technology can be beautiful at the same time, or vice versa, that beauty can do so much, is what makes for a fulfilled life accord- ing to Jens Schneider. He describes the construction of a clockwork in great detail. How the gears mesh, where it is important to reduce the friction caused by the vibra- tions and when the spring wants to relax and how this helps to transform the movement from slow to fast. Schneider learned his craft in Glashütte, the Sax- on centre of watchmaking. He was one of the first em- ployees to experience the refoundation of the renowned watch manufacturer Lange & Söhne after the fall of the wall. For many years, he developed new models there, until he set up his own workshop. There was enough work. After all, watches have a long tradition in Saxony. It all began in the 17th century with the Elector of Saxony, August the Strong. He loved astronomy, which attracted experts, so one thing led to another. Even to- day, there are still many specialists such as engravers, enamelers and finishers around Dresden with Glashütte as the centre. At Lang & Heyne, one is aware of the tradition of Saxon craftsmanship: The first watches were developed according to the models of old pocket watches from the 19th century. The price range extends from 21,500 to over 200,000 euros.The fact that the watches still do not look like museum pieces is due to the modern and precise craftsmanship. Even though the company is located in a listed mill – Lang & Heyne does not indulge in nostalgia. Two ultra-modern CNC milling machines are situated direct- ly behind the reception room. On the wall there are long steel rods from which tiny screws are later turned. In the former dance hall – the Ullersdorf mill was once a restaurant – the two larg- est machines stand directly under a chandelier. This is where Sven Meyer is just looking at the round main plates that he has taken out of his CNC mill- links • left rechts • right Kleine Kunstwerke: Die Platinen sind die Grund- bausteine jeder Uhr Small works of art: The circuit boards are the basic components of every watch Wunderschöne Technik, die man im Gebrauch niemals sieht Beautiful engineering that you never see when you use it che Funktion die 19 eingelassenen Rubine haben. Dass Technik gleichzeitig schön sein kann oder andersherum Schönheit so viel kann, ist für Jens Schneider erfüllend. Ganz genau beschreibt er den Aufbau eines Uhrwerks. Wie die Zahnräder ineinander greifen, wo es gilt, die Reibungen, die durch die Schwingungen entstehen, ab- zumildern und wann sich die Feder entspannen will und wie das hilft, die Bewegung vom Langsamen ins Schnelle zu transformieren. Sein Handwerk hat Schneider in Glas- hütte gelernt, dem sächsischen Zentrum der Uhrenher- stellung. Er erlebte die Neugründung der renommierten Uhrenmanufaktur Lange & Söhne nach dem Mauerfall als einer der ersten Mitarbeiter von Anfang an mit. Viele Jahre entwickelte er dort neue Modelle, bis er sich mit einer eigenen Werkstatt selbstständig machte. Genug Arbeit gab es. Immerhin haben Uhren eine lange Tradi- tion in Sachsen. Alles begann im 17. Jahrhundert mit dem Kurfürs- ten von Sachsen, August dem Starken. Der liebte die As- tronomie, das zog Experten an, so kam eins zum anderen. Noch heute gibt es rund um Dresden mit Glashütte als Zentrum viele Fachleute wie Graveure, Emailleure und Finisseure. Bei Lang & Heyne ist man sich der Tradition

30 grad 1 2020 manufactury page 29 des sächsischen Handwerks bewusst: Die ersten Uhren wurden nach den Vorbildern alter Taschenuhren aus dem 19. Jahrhundert entwickelt. Alle Uhren tragen die Namen von sächsischen Herrschern wie Moritz, Friedrich III. und August dem Starken. Die Preisspanne reicht von 21.500 bis über 200.000 Euro. Dass die Uhren trotzdem nicht wie Museumstü- cke anmuten, liegt an der modernen wie auch präzisen Handwerkskunst. Wenn die Firma auch in einer denkmal- geschützten Mühle untergebracht ist – bei Lang & Heyne schwelgt man nicht in Nostalgie. Direkt hinter dem Emp- fangsraum stehen zwei hochmoderne CNC-Fräsmaschi- nen. An der Wand lagern lange Stahlstangen, aus denen später winzige Schrauben gedreht werden. Im ehema- ligen Tanzsaal – die Ullersdorfer Mühle war einst eine Gaststätte – stehen die beiden größten Maschinen direkt unter einem Kronleuchter. Hier schaut sich Sven Meyer gerade die runden Grundplatinen an, die er aus seiner CNC-Fräse geholt hat. Er prüft, ob alle Vertiefungen, Rillen und Löcher exakt gearbeitet sind, um die vielen ing machine. He checks whether all the indentations, grooves and holes have been worked accurately so that the many individual parts can later be arranged on the plate like a puzzle. The construction drawing of a new watch is enough for him and his colleague to program the computer. “I am the machine,” says Meyer. Since 2005, the CNC technician has been spending eight hours with it every day. His colleague Annett Böttner sits in a small cub- byhole and enamels discs only 9.5 millimetres in diame- ter and 0.5 millimetres high. It takes a day to create the world map with time zones in green, blue and gold for the Moritz watch on this tiny surface. Again and again the colours have to be fired in a small oven. On the first floor, where guests once stayed, the work becomes even more difficult. Here the watchmak- ers sit at high workbenches. With the naked eye, the 0.3 millimetre wide screw, which is clamped in a metal grip- ping tool, is hardly visible. A watchmaker looks through a microscope while she polishes the screw with wax.

seite 30 manufaktur 30 grad 1 2020 Einzelteile später wie in einem Puzzle auf der Platte an- ordnen zu können. Ihm und seinem Kollegen reicht die Konstruktionszeichnung einer neuen Uhr, um damit den Computer zu programmieren. Ich bin die Maschine“, sagt Meyer. Seit 2005 verbringt der CNC-Techniker jeden Tag immerhin acht Stunden mit ihr. In einem kleinen Kabuff sitzt seine Kollegin Annett Böttner und emailliert Scheiben von nur 9,5 Millime- ter Durchmesser und 0,5 Millimeter Höhe. Einen Tag braucht sie, bis auf der winzigen Fläche die Weltkarte mit Zeitzonen in Grün, Blau und Gold für die Uhr Moritz entstanden ist. Im ersten Stock wird die Arbeit noch diffiziler. Hier sitzen die Uhrmacher an hohen Werkbänken. Mit blo- ßem Auge ist die 0,3 Millimeter breite Schraube kaum zu erkennen, die in ein metallenes Greifwerkzeug einge- spannt ist. Eine Uhrmacherin schaut durch ein Mikroskop, während sie die Schraube mit Wachs poliert. Ist sie im Uhrwerk verbaut, soll nicht der Hauch eines Kratzers zu If it is built into the clockwork, not even the slightest scratch should be visible. Therefore, it takes up to 45 minutes to finish grinding and polishing a screw. Lang & Heyne polishes a lot, and not just to make everything shine. First of all Jens Schneider has to ex- plain the difference between gloss and brilliance. The former the object always has, no matter how you twist and turn it. But brilliance is more: depending on the light and angle, the surface shines brightly or is dark, but for this it must be absolutely smooth. Another employee is responsible for the absolute smoothness of the curved hands. He rubs them with circular movements over a tin paste that he has applied to a small metal block. The biggest challenge for this luxury is the num- ber of pieces. Each watch is manufactured only after the order is placed, 50 pieces are sold annually by Lang & Heyne to connoisseurs worldwide. The watches are so elaborate in the production that more was simply not possible until now. For a watch with three hands FRIEDRICH III Die Friedrich III ist eine Drei-Zeiger- Uhr mit schwarzem oder hellem Ziffernblatt. Die römischen Ziffern geben ihr ein minimalistisches Aus- sehen. Reduziert auf das Wesentliche läuft die Uhr besonders stabil. Friedrich III is a three-hand watch with black or light-coloured dial. The Roman numerals give it a minimalist appearance. Reduced to the bare essentials, the watch runs particularly stable. MORITZ AUGUSTUS Die Uhr Moritz verfügt über sämtli- che Kalenderfunktionen. Es gibt eine Anzeige für den Wochentag, den Monat und einen Sekundenstopp. Eine Scheibe zeigt die Weltzeit an, eine weitere die Mondphasen. Watch Moritz has complete calendar functions. There is a display for the day of the week, the month and a stop-second. One disc shows the world time, another the phases of the moon. Die Uhr August I ist eine echte Rechen- maschine mit einem Programmring, der 12 Jahrestage anzeigt. Passend zum Datum wird der Name und das Alter einer Person angezeigt, abgestimmt auf den Träger. The watch August I is a real calcu- lating machine with a programme ring that displays 12 anniversaries. Matching the date the name and age of a person is displayed, adapted to the wearer.

30 grad 1 2020 sehen sein. Deshalb dauert es bis zu 45 Minuten, bis eine Schraube fertig geschliffen und poliert worden ist. Poliert wird viel bei Lang & Heyne und das nicht nur, damit alles schön glänzt. Da muss Jens Schneider erst einmal den Unterschied zwischen Glanz und Brillanz erklären. Ersteren hat der Gegenstand immer, egal wie man ihn dreht und wendet. Brillanz aber ist mehr: Je nach Licht und Winkel blitzt die Fläche hell oder ist dunkel, dafür muss sie absolut glatt sein. Die größte Herausforderung für diesen Luxus ist die Stückzahl. Jede Uhr wird erst nach der Bestellung gefertigt, 50 Stück verkauft Lang & Heyne jährlich an Liebhaber auf der ganzen Welt. So aufwendig sind die Uhren in der Herstellung, dass mehr bisher einfach nicht möglich war. Für eine Uhr mit drei Zeigern benötigt ein Uhrmacher bis zu drei Monate, für eine mit Datumsan- zeige und Mondphasen auch schon mal ein halbes Jahr. Die Augustus, die Spezialanfertigung einer mechani- schen Rechenmaschine mit Anzeige von individuellen Geburts- und Jahrestagen braucht anderthalb Jahre, bis sie die Werkstatt verlässt. Jens Schneider sagt: „Es gibt zwei Arten von Uh- renkäufern, solche, denen es nur um die Marke geht und solche, die sich für die Technik begeistern.“ Keine Frage, dass es sich bei Lang & Heyne-Kunden um die zweite Kategorie handelt. Die Uhren erkennt man an den besonderen Details. Das Armband ist mit der Uhr durch drei Anstöße ver- bunden, die Schrauben sind zinnpoliert und teils tiefblau flammengebläut, die Zeiger sind handgearbeitet, die Zif- fernblätter emailliert, das Räderwerk ist aus Roségold und die Platinen, Brücken und Kolben werden mit Silberpaste angerieben und anschließend vergoldet. Und dann ist da noch die Rückseite der Uhr, die genau so wichtig ist wie das Ziffernblatt. Deshalb haben alle Exemplare bei Lang & Heyne einen Glasboden, so kann man jede Bewegung der Uhr verfolgen. Jens Schneider will nun erst einmal mit den bereits etablierten Uhren arbeiten. Jedes Exemplar auseinander- nehmen und wieder zusammenbauen, um zu schauen, wie er sie mit seinem jungen Team noch besser machen kann. Um dann bald eine neue Uhr in Angriff zu nehmen. Die Erste von Jens Schneider für Lang & Heyne. rechts right Mit bloßem Auge sind die winzigen Teile kaum zu erkennen The tiny parts are hardly visible to the naked eye a watchmaker needs up to three months, for one with date and moon phases even half a year. The Augustus, a custom-made mechanical calculating machine with display of individual birthdays and anniversaries, takes a year and a half to leave the workshop. Jens Schneider says: “There are two types of watch buyers: those who are only interested in the brand and those who are enthusiastic about technolo- gy.” There is no question that Lang & Heyne customers fall into the second category. The watches can be recognised by their special details. The bracelet is connected to the watch by three lugs, the screws are tin-polished and some are tem- pered deep blue, the hands are handmade, the dials are enamelled, the movement is made of rose gold. And then there is the back of the watch, which is as impor- tant as the dial. That is why all Lang & Heyne watches have a glass bottom, so you can follow every movement . Jens Schneider now wants to work with the already established watches, disassemble and reassemble each specimen to see how he and his young team can make it even better, and then soon tackle a new watch: the first one by Jens Schneider for Lang & Heyne.

30 grad 1 2020 beauty interview page 33 „King Kong hat mich geprägt“ “King Kong has been a huge influence” Joachim Baldauf ist einer der gefragtesten Modefoto- grafen Deutschlands. Und er hatte ein Faible für bärtige Männer – schon lange bevor der Bart in Mode kam. Warum tragen Sie Bart? Ein Schlüsselmoment war der King-Kong-Film von 1976. Jeﬀ Bridges als Jack Prescott war mein Stilvorbild. Aber da waren Sie doch noch ein Kind? Ich war etwa 13, als ich ihn zum ersten Mal sah. Jeﬀ Bridges war einfach toll. Ich konnte kaum erwarten, dass mir Haare im Gesicht wuchsen. Seitdem trage ich stets Bart. Im Moment habe ich einen richtigen Vollbart, ganz schön weiß, ich sehe aus wie der Nikolaus. Das steht Ihnen gut! Danke, ich fühle mich auch wohl damit. Mit der Haar- farbe verändert sich die Wahrnehmung der Menschen. Als mein Bart noch schwarz war, hatte er eine gewisse Strenge, durch das Grau wirkt er sanfter. Sie fotografieren gern vollbärtige Männer. Joachim Baldauf is one of the most sought-after fashion photographers in Germany. And he has always had weakness for bearded men – even long before the beard became fashionable. Why do you wear a beard? A key moment was the King Kong film from 1976. Jeff Bridges as Jack Prescott inspired my style. But weren’t you just a kid then? I was 13 when I first saw him. Jeff Bridges was just great. I couldn't wait for the first hair to grow on my face. I've been wearing a beard ever since. Right now, I have a full beard, quite white, I look like Santa Claus. It suits you well! Thanks, I feel good about it, too. The percep- tions of people change with the colour of one's hair. When it was still black, the beard had a certain severity, the grey makes it look softer. Ich suche mir gern Models, die so aussehen wie ich. Nur schöner (lacht). You like taking pictures of men with full beards. I tend to look for models who look like me. Only Was bedeutet männliche Schönheit für Sie? Das hat für mich wenig mit dem Äußerlichen zu tun. Ich ﬁnde es immer wieder faszinierend zu beobachten, dass oft ganz zarte Jungs besonders verantwortlich und männlich sind. Mir imponieren väterliche, starke und unprätentiöse Typen. Was tun Sie selbst für Ihre Schönheit? Ich dusche, putze mir dabei die Zähne, wasche Haare und Bart mit demselben Shampoo und creme nachher den ganzen Körper und das Gesicht mit einer einzigen Mandelcreme ein. Die benutze ich fürs Gesicht, den Körper und manchmal sogar für die Schuhe. Wie pflegen Sie den Bart? Ich gehe alle paar Wochen zum Barber und lasse ihn schneiden. Und ich wasche den Bart nach dem Essen. Manchmal föhne ich ihn. Tauscht man sich unter Männern über so etwas aus? Ja, natürlich. Insbesondere rund um den Bart hat sich ja ein echter Kult entwickelt. Haben Sie sich jemals glatt rasiert? Nur einmal an meinem 40. Geburtstag. Das fühlte sich komisch an. Auf meiner eigenen Geburtstagsparty wur- de ich nach der Einladung gefragt. more handsome (laughs). What does male beauty mean to you? For me, it has little to do with outward appear- ances. I always find it fascinating to observe that often very tender boys are especially re- sponsible and masculine. I am impressed by fa- therly, strong and unpretentious types. What do you do for your own beauty? I take a shower, brush my teeth at the same time, wash my hair and my beard with the same shampoo and then apply a single almond cream to my whole body and face. I use it on my face, body and sometimes even on my shoes. How do you take care of your beard? I go to the barber every few weeks and have it cut. And I wash the beard after eating. Some- times I blow-dry it. Do men talk about such things among each other? Yes, of course. Especially around the beard, a real cult has developed. Have you ever shaved clean? Only on my 40th birthday. It felt really weird. I was asked for the invitation at my own party.

seite 34 mhle abc 30 grad 1 2020 I wie Initiation I as in initiation Beschneidung, Tätowierung, kirchliche Weihe – weltweit ist es in unterschiedlichen Kulturen üblich, die Aufnahme des jungen Mannes in den Kreis der Erwachsenen durch ein feierliches Ritual zu vollziehen. Manchmal dient die erste Rasur als ein solches Über- gangsritual vom Kind zum Mann. „Keshanta“ heißt es bei den Hindus, „Barbatoria“ hieß es im alten Rom. Als 39 vor Christus Octavian, der spätere Kaiser Augustus, anlässlich seiner Barbatoria zu einem aus der Staatskasse bezahlten Volksfest lud, demonstrierte er nicht nur sein Erwachsen- sein, sondern auch seinen Machtanspruch. Auch heute ist die erste Rasur ein besonderer Anlass – und sie kann zu einem besonderen Gemeinschaftsmoment zwischen Va- ter und Sohn werden. Das, was der Sohn vom Vater über Rasur lernt, ist nämlich prägender als jede Werbung oder jeder Bart-Blog, wie eine von Mühle in Auftrag gegebene Studie ermittelt hat. Wie der Vater, so der Sohn. Circumcision, tattooing, the ordination of priests – it is customary in different cultures worldwide to carry out the admission of the young man into the circle of adults by means of a solemn ritual. Sometimes, the first shave serves as such a rite of passage from child to man. It is called “Keshanta” by the Hindus, and “Barbatoria” was its name in ancient Rome. When Octavian, later Emperor Augustus, invit- ed to a public festival paid for from the state treasury on the occasion of his barbatoria in 39 BC, he not only demonstrated his adulthood but also his claim to power. Even today, the first shave is a special occasion – and it can become a special moment of communion between father and son. What the son learns about shaving from his father is more formative than any advertisement or blog, as a study commissioned by Mühle has shown. Like father, like son. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z

impressum / imprint HERAUSGEBER HERAUSGEBER PUBLISHER PUBLISHER REDAKTION % KONZEPT REDAKTION % KONZEPT EDITORIAL STAFF % CONCEPT EDITORIAL STAFF % CONCEPT Hans-Jürgen Müller GmbH & Co. KG Hauptstraße 18 08328 Stützengrün Germany Tel. +49 (0) 37462 652 – 0 Fax +49 (0) 37462 652 – 18 [email protected] www.muehle-shaving.com geschäftsfhrung Andreas Müller, Christian Müller LITHO LITHO Europrint-Medien GmbH, Robert Strack DRUCK DRUCK PRINTING PRINTING Druckerei & Verlag Mike Rockstroh YSSO GbR Schönleinstraße 11 10967 Berlin Germany Tel. +49 (0) 30 615 07 821 [email protected] www.ysso.de editors Franziska Klün (Editor in Chief), Bettina Homann, Lenz Koppelstätter art direction and design Max Winter photo direction Trine Skraastad authors Marie Sophie Müller, Florian Siebeck, Grit Thönnissen translation Mark Bonarius, Sebastian Schmidt Werden Sie kostenfrei 30 Grad-Abonnent: GET YOUR FREE SUBSCRIPTION: GET YOUR FREE SUBSCRIPTION: [email protected] BILDNACHWEISE PICTURE CREDITS Cover, S. 5 [bottom], 18 – 25: Maximillian Virgili; S. 3: Stefan Hähnel; S. 4: Tom Bird; S. 5 [top]: Max Winter; S. 26 – 29, 31: Franz Grünewald; S. 30: Lang & Heyne; S. 32: Ansgar Sollmann; S. 34: Norman Konrad S. 6: Tim Blann; S.8 –17: Mühle Archiv, Julia von der Heide;